Sahara (Bridgette Wilson) seufzt, als die Maskenbildnerin Mary (Catherine Keener) ihren Oberkörper mit Puder und Make-up für die anstehenden Werbeaufnahmen vorbereitet: „Everybody here is so superficial.“ In dieser Situation und gesprochen von einem eher unbedarften, blondierten Durchschnittsmodel ist dieser Satz nichts weiter als ein relativ sicherer Lacher. Vielleicht aber auch nicht, denn wie schon Robert Altmans Prêt-a-porter geht es auch Tom DiCillos Echt blond keineswegs darum, die Haute-Couture-, Werbe-, TV- oder Filmbranche des Verbrechens der Oberflächlichkeit zu überführen. Weniger eine humoresk abfällige Wertung als vielmehr schlichte Bestandsaufnahme, fügt sich Saharas Kommentar in die Bewegung, mit der Echt blond die Funktionsweisen einer Industrie und eine davon abhängige Gesellschaft beschreibt. Echt blond verfolgt als Satire die Bedingungen und Konsequenzen des Überlebenprinzips „Oberflächlichkeit“ und fragt dabei automatisch nach dem Verhältnis von Inszenierung und Realität.

Alle im New York von Echt blond haben auf ihre Weise mit der Vermarktung von Bildern und Körpern zu tun. Joe (Matthew Modine) ist ein chronisch arbeitsloser Schauspieler, der sich bei seinen wenigen Engagements um Kopf und Kragen redet und sein bißchen Geld zusammenkellnern muß. Er lebt zusammen mit seiner Freundin Mary, die beim Sex auf Verhütung besteht, weil sie weiß, daß eine Schwangerschaft die Karriere als erfolgreiche Maskenbildnerin kosten könnte. Außerdem sorgt sie sich wegen Joes Launen und seiner permanenten Armut. Joes sexprotzender Kumpel Bob (Maxwell Caulfield), der sich im Laufe des Films zu einem semiprominenten Seifenopern-Star hocharbeitet, jagt auf der Suche nach „einer echten Blondine“ wie besessen hellhaarigen Frauen hinterher, bei denen er im Falle eines Glücksgriffs dann regelmäßig erektil versagt: „Hey, willst du mich hier jetzt etwa einfach liegen lassen wie ein starres Stück Fleisch?“ – „Na ja, Bob, nicht gerade starr, oder?!“ Sahara, eine von Bobs Affären, wirbt relativ unglücklich für das Parfum „Dépression“ – More than a state of mind.

Während wir den amüsanten Existenz- und Beziehungsproblemen von Joe, Mary und den anderen folgen, führen uns unvermittelt eingefügte Traumsequenzen immer wieder auf das Glatteis, auf dem hier alle nach Sicherheit suchen. Was ist nun wahr, was nur gespielt? Bin wirklich ich gemeint? Wo steckt die Realität, wo endet die Inszenierung, und wie kann man dem einen oder dem anderen trauen? Echt blond hat zu keiner Zeit eine abschließende Antwort darauf; höchstens die, daß wir diesen Konflikt stets aufs Neue anzugehen haben. Zumal, wenn wir beim Film oder in der Werbung sind.

Diese elegante Methode funktionierte schon in Living in Oblivion ausgezeichnet. Und auch diesmal sind die Charaktere bis zu den Nebenfiguren (Kathleen Turner als abgefeimte Agentin, Denis Leary als schmieriger Selbstverteidigungstrainer und Christopher Lloyd als Joes tuntig würdevoller Catering-Organisator) phantastisch besetzt. Außerdem hat Mediumreflexivität ja bekanntlich noch immer Hochkonjunktur. Jenseits dieser unverfänglichen Qualitäten jedoch liegt das Besondere an Echt blond in der Stringenz, mit der sich Tom DiCillos vierter abendfüllender Spielfilm angreifbar macht.

Davon zeugt nicht nur das unerwartet eindeutige Ende. Denn schon während des Spiels um Oberfläche behauptet Echt blond durchaus so etwas wie Wahrheit. Ungebrochen „real“ bleibt während des ganzen Films z.B. ein raumgreifender Sexismus, der Teil des Geschäfts ist, in dem sich auch DiCillos Film selbst begreift. Männer wie Frauen sind in ihrer Arbeit vor der Kamera selbstverständlich nichts als verfügbare Stereotypen, letztere jedoch – darauf verwendet Echt blond mehrere Szenen – sind dieser Diskriminierung zudem tagtäglich auf der Straße ausgesetzt. Nur im Traum kann sich Mary gegen einschlägige Kommentare und Blicke wehren: Mit ausgestrecktem Zeigefinger und den Worten „Why do you say this shit?!“ läßt sie den Phallus des dummdreisten Anmachers qua telepathische Kräfte buchstäblich verdampfen. In diesen Momenten erscheint Echt blond wie eine phantastische Fortsetzung von Maggie Hadleigh-Wests kämpferischem Dokumentarfilm War Zone.

Die Stärke der Behauptung entzieht der Satire ihre leichten Opfer, ohne den Unterhaltungswert zu mindern. Wie unsere Nähe zum Geschehen das distanzierte Lachen blockiert und stattdessen zu einer eher an Woody Allen orientierten Komik führt, so zeigt sich Echt blond immer wieder selbst als Teil dessen, was er ohne Häme beschreibt: Bei einem Werbefoto-Shooting fordert die erfahrene Fotografin das männliche Modell so lange auf, den Bauch einzuziehen, bis diesem laut und vernehmlich vor dem ganzen Team ein Furz entfährt. Der muskulöse Idealmann bricht vor Scham zusammen. Hemmungslos weint er sich an der Schulter seiner Kollegin Sahara aus, die ihn fürsorglich tröstet, während die geistesgegenwärtige Fotografin genau in diesem Moment ihre besten Fotos schießt.

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 06/ 98