Nur Liebe liegt in der Luft

Machen die Coen-Brüder kalte Filme? Ach was: Sie lieben das Kino heiß und innig und lassen das in jeder Szene ihrer neuen Screwball-Comedy „Ein (un)möglicher Härtefall“ spüren. Unter ihrer Regie macht George Clooney einen Knicks vor Cary Grant

Die Stimmung nach der Pressevorführung war nicht schlecht. Wer zu einem Plausch blieb, lächelte wohlwollend, memorierte den ein oder anderen Gag aus Ein (un-)möglicher Härtefall (Intolerable Cruelty), ließ aber in der gebremsten Kennerhaltung auch durchblicken, nicht überrascht oder begeistert zu sein. Natürlich habe man sich amüsiert; der gewohnt schwarze Humor, klasse Szenen von George Clooney als zahnpflegefixiertem Rechtsverdreher, aber von den Coens, nun ja, habe man doch etwas mehr erwarten dürfen. So begegnete man dem zehnten Film der Brüder Joel und Ethan Coen noch vor den ersten Rezensionen schon mit jener seltsamen Mischung aus Anerkennung und Distanz, die hierzulande fast alle ihre Werke begleitet hat.

Kaum einer ihrer Filme ist nicht mit Enthusiasmus auf jene Bezüge hin untersucht worden, die dann als Fingerzeige der verspielten Filmemacherbrüder interpretiert wurden. Ihre „Lust am Zitat“ wird nicht erst seit der Goldene Palme 1991 für Barton Fink gerühmt; nur bei dem Flop Hudsucker wurden Begriffe wie „postmodern“ und „kinematografische Patchwork-Arbeiten“ zu Schmähworten umfunktioniert. Bei O Brother, Where Art Thou? erschloss man erfreut Zitatquellen zwischen Preston Sturges, Clark Gable und Homer, zuletzt bei The Man Who Wasnt There im Film noir und Kubricks Lolita.

Dass die Coens zwar freundschaftlich geschätzt, aber nicht geliebt werden, hängt mit der Ironie, wenn nicht dem Zynismus zusammen, der in den Augen der Kritik mit der Zitierfreude einhergeht: Der Preis der absurden Fahrten durch Epochen und Stile der Filmgeschichte sind, so scheint es, immer wieder vergleichsweise kalte Figuren. Als im Wissen verschworenen Respekt lässt sich die Haltung gegenüber den Coens beschreiben. Kein anderer Film als Intolerable Cruelty ist besser dazu angetan, daraus endlich Liebe werden zu lassen.

Dabei geht es zunächst um das Gegenteil. Immerhin ist Miles Massey (George Clooney) als Urheber des gefürchteten Massey-Ehevertrags („Only love is in mind – when the Massey is signed!“) der vor Schmierigkeit strahlende Star aller Scheidungsanwälte und Marilyn Rexroth (Catherine Zeta-Jones) als ehemalige Mrs. Rex Rexroth der aufgehende Stern der gewieften Exehefrauen von L. A. Beide werden im Kampf um Scheidungsklauseln, Seitensprungvideos (vom Spezialisten Gus „I nail your ass!“ Petch) und millionenschwere Abfindungen mehrmals aufeinander treffen. Bis sie sich selbst zur Dudelsackversion von „Bridge Over Troubled Water“ das Jawort geben und sich darauf alles, dann wieder nichts und schließlich doch alles ändert.

Ohne Umschweife könnte das übliche Spiel zwischen einem Coen-Film und der Kritik beginnen. Das Tempo, die Figurenkonstellationen und der Tonfall der Wendungen verweisen auf die Screwball-Comedy und deren Meisterregisseure wie Howard Hawks oder George Cukor. Es gibt furiose Duelle im Gerichtssaal, die Cukors Ehekrieg mit Katharine Hepburn und Spencer Tracy locker rechts überholen: „Einspruch, Euer Ehren: Strangulierung des Zeugen!“ – „Abgelehnt!“ George Clooney, der uns zuallererst als leuchtendes Gehege voll Zähnen unter kosmetischer Bestrahlung begegnet, ist einerseits seine eigene Persiflage, wenn er jeden spiegelnden Silberlöffel zur Lächelkontrolle requiriert. Zugleich ist die überelegante Art, mit der er als Miles Massey seinen teuer beschuhten Fuß unter dem Schreibtisch schräg auf die Zehenspitzen stellt, ein Knicks vor dem einmaligen Cary Grant.

So bleibt George Clooney er selbst und sein Vorbild. Er schlägt sich mit Catherine Zeta-Jones Dialoge um die Ohren, die auch in Howard Hawks His Girl Friday hätten ablaufen können: „Beantworten Sie manchmal auch Fragen?“ – „Ihnen?“ Und obschon er mit seinen Möglichkeiten nicht die Leichtigkeit und Präzision Cary Grants erreichen kann, helfen doch Drehbuch und Inszenierung bei der Annäherung. Wenn Miles Massey zitternd vor dem Chefbüro eines Zombies von einem Kanzleisenior wartet, der wie ein faltiger Luftballon von Schläuchen nur mühsam aufrecht gehalten wird, darf Clooney noch Cary Grants Hysterie und Grimassen aus Arsen und Spitzenhäubchen überbieten.

Gerade weil jedoch Intolerable Cruelty auf diese eigene Weise zur Screwball-Comedy strebt, wird hier der notorische Zitatbegriff unbrauchbar. Die notwendige Distanz, um etwas als von sich selbst Unterschiedenes zitieren zu können, ist lange aufgegeben. So wie die Screwball-Comedy umarmt, geliebt und darüber zum eigentlichen Wesen des Films gemacht wird, ergeht es Filmgeschichte und Genres immer wieder bei Joel und Ethan Coen. Die Kälte, die den Figurenzeichnungen attestiert wird, ist nur spürbar unter dem Diktat des psychologischen Realismus. Dagegen strömen nahezu alle Coen-Filme eine enorm warme und höchst seltene Liebe zum Kino aus, die als solche auch in den Figuren lebt.

Sie wird es schließlich sein, die in Intolerable Cruelty unerwartet komplett und romantisch siegen darf. „Only love is in mind / when the Massey is signed“: Mit einer kurzen, aber innigen Umarmung von Frank Capras Mr Deed Goes to Town wird der Geschichte von Miles und Marilyn eine letzte Wendung gegeben. Liebe ist das Zerreißen von Verträgen. Und wenn selbst Miles Massey „Liebe ist gut“ sagen kann, ohne es zu bereuen, worauf warten wir dann noch?

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in der: tageszeitung (taz) 09/ 03