Stadt der Angst

„From Hell“ ist die zaghafte Verfilmung eines Kultcomics

Eine Opiumpfeife wird angezündet, die Kamera ist so dicht dabei, als sei sie selbst die Flamme. Aus gleicher Nähe blicken wir in ein Augenpaar, bevor es mit einer Überblendung in die düsteren Umrisse eines geheimnisvoll ausgemalten London des späten 19. Jahrhunderts übergeht. Bald wird die Kamera buchstäblich in diese Kulisse eintauchen. Wir gehen mit, und alles scheint bereitet, um jede Distanz zur anderen Welt aufzulösen.

Diese ersten Bilder formen mit ihrer programmatischen Nähe nicht das einzige Versprechen, das den vierten Film der Brüder Allen und Albert Hughes (Menace II Society) von Beginn an begleitet. Als Spekulation über die bis heute unaufgeklärten Morde von Jack the Ripper steht From Hell in einer langen und durchaus blutigen Kinotradition, als Verfilmung des gleichnamigen, hoch angesehenen Comic-Romans von Alan Moore und Eddie Campbell lasten auf ihm die Erwartungen einer internationalen Fangemeinde. Und selbst für all jene, die vom Comic und seinem Ruf als innovative historische Erzählung noch nie etwas gehört haben, teilt sich der Anspruch auf neue Brisanz durch ein Zitat mit, das dem Film vorangestellt und Jack the Ripper zugeschrieben ist: „Eines Tages wird die Menschheit zurückblicken und sagen, dass ich das 20. Jahrhundert ins Leben gerufen habe.“

Dem schwarz ummantelten Ripper wird in From Hell der opiumabhängige Inspektor Abberline (Johnny Depp) gegenüber montiert. Er soll die Serie der Prostituiertenmorde im Armenviertel Whitechapel stoppen, und es sind seine Augen, mit denen der Film beginnt. Dennoch bildet Abberline nicht das Zentrum der Geschichte; wie im Comic sind es eher die Lebensbedingungen in Whitechapel selbst und der historische Rahmen der Klassengesellschaft, in die der Mörder, die Schicksale seiner Opfer und die Versuche der Aufklärung eingebettet sind. Die Überblendung zu Anfang ist nicht zufällig – der eigentliche Protagonist dieses Films scheint die Stadt, die Gesellschaft selbst zu sein.

Während Abberlines Ermittlungen und seine übersinnlichen Visionen uns die brutalen Morde des Rippers vor Augen führen, erfahren wir den Alltag der Prostituierten mit der zweiten Hauptfigur Mary Kelly (Heather Graham). Sex im Stehen hinter Bretterzäunen, zwei, drei Geldstücke landen auf dem Trottoir, keine Hoffnung nirgends. Zusammenkommen Abberline und Mary Kelly durch die Verschwörungstheorie, auf die sich From Hell gründet: Der Killer ist ein Mann aus höchsten Kreisen, und die Morde hängen unmittelbar mit vertuschten Verbindungen des Königshauses zu den Prostituierten von Whitechapel zusammen. Am Anfang der Spur zu Jack the Ripper liegen Weintraubenstiele.

Je häufiger sich jedoch die Wege von Abberline und Kelly kreuzen, desto mehr entscheidet sich From Hell, die Gewichtung der Vorlage zu verlassen. Besteht eine wesentliche Stärke des Comics darin, alle Figuren und auch die ausführlich geschilderten Taten des Rippers immer wieder an den historischen Kontext und ganz konkret an die Struktur der Stadt zurückzubinden, scheut sich der Film vor dieser radikalen Verdichtung. Stattdessen fällt die Adaption der Hughes-Brüder zusehends auseinander. Die Jagd nach dem Mörder wird wie zur Zielgruppenabsicherung durch eine dramatische Liebesgeschichte angereichert, Opium und Absinth kommen zum stilisierten Einsatz.

Es ist beinahe so, als erschrecke die Filmversion vor dem eigenen Potenzial, Horror mit historisch-materialistischer Analyse zu verkoppeln. Ihr Problem ist nicht, wie man hätte befürchten können, Bilder für die Hölle des Rippers und das London vom Herbst 1888 zu finden, sondern die Angst vor einer Dramaturgie, die sich nicht auf Helden oder Antihelden konzentriert. Genau darum aber muss – ganz im Gegensatz zum Comic – das Versprechen von Jack the Ripper letztlich leer bleiben. Hier werden wir jedenfalls nicht erfahren, ob und wie er das 20. Jahrhundert eingeleitet hat.

Autor: Jan Distelmeyer

Diese Kritik ist zuerst erschienen in der: Zeit 01/ 02