»Jetzt siehst du es«

„King Kong“: Ein Klassiker und seine Deutungsgeschichte

Mit King Kong hat Peter Jackson nicht gerade irgendeinen Stoff für seinen neuen Weihnachts-Blockbuster gewählt. Der große Menschenaffe ist eine Ikone des Films – vielleicht, weil er ganz und gar dem Geist des Kinos entsprungen ist. Eine Rückblende auf das Original und die Versuche, Kong zu verstehen.

Um das ganze Ausmaß von Kong erkennen zu können, muss man ein paar Schritte zurückgehen. Wer zu nah dran ist, kriegt höchstens ein Fellbüschel vor die Nase, wird eventuell von einem mächtigen Fuß zerquetscht oder hat das zweifelhafte Glück, liebevoll bis lüstern in die Höhe gehoben, um dann nach allen größenspezifischen Mitteln der Kunst von riesigen Händen befingert zu werden. Erst die Entfernung ermöglicht komplettere Bilder, Entwürfe unseres Augenscheins von einem Biest, das in jeder Beziehung anders ist.

Das klassische Hollywood-Kino ist mit Monstren groß geworden. Als Merian C. Coopers und Ernest B. Schoedsacks King Kong am 2. März 1933 seine Welturaufführung in New York feierte – am Vortag hatten in Folge der Depression alle New Yorker Banken schließen müssen – und zum bis dato erfolgreichsten Filmstart aller Zeiten avancierte, gesellte sich der Riesenaffe zu den damals brandaktuellen und heute zeitlosen Stars des Horrors. Zuvor hatten Bela Lugosi als Dracula, Fredric March als Dr. Jekyll and Mr. Hyde, Boris Karloff in Frankenstein (alle 1931) und The Mummy (1932) neue, feste Größen des fantastischen Films installiert. Kong, jener riesige Gorilla, den der Show- und Tatmensch Carl Denham (Robert Armstrong) von Skull Island nach New York verschleppt, um „das achte Weltwunder“ am Broadway zu präsentieren, gehört unbestritten zu diesen bleibenden Ikonen der Hollywood-Geschichte und ist doch die modernste, eigenwilligste unter ihnen. Mehr als diese anderen Klassiker ist King Kong so etwas wie ein wahres Kind des Kinos.

Er ist keine Verfilmung einer Erzählung, die bereits in anderen Medien lebendig geworden war, keine Adaption eines literarischen Stoffes wie Dracula, Frankenstein oder Jekyll/Hyde, keine Variante einer Legende wie der des Wolfsmenschen. Er ist reines Kino – und dies nicht nur in dem Sinne, dass die Idee zu Kong von Merian C. Cooper mit Edgar Wallace für RKO entwickelt wurde, bevor James Creelman und Schoedsacks Ehefrau Ruth Rose schließlich das Drehbuch schrieben.

Die Sonderstellung von King Kong ist immer wieder mit der Arbeit des Cheftechnikers Willis O’Brien verbunden worden. Seine wegweisende Trickkombination von mechanischen Modellen, Miniaturgorillas, Stop-Motion-Animationen, Hintergrundmalereien und komplizierten Rückprojektionen erwecken Kong in jeder Umgebung zum Leben. Darüber hinaus jedoch sind diese für das „Nichts ist unmöglich“-Versprechen Hollywoods so repräsentativen Spezialeffekte eingebunden in eine außerordentlich selbstreflexive Geschichte.

Ein Film ist ein Film ist ein Film

King Kong erzählt als Film vom Filmemachen – von dem Projekt des Filmproduzenten Denham, der auf einer mysteriösen Insel mit der von der Straße weg besetzten Schauspielerin Ann Darrow einen Film nach dem Motto „die Schöne und das Biest“ drehen will. Und ehe Fay Wray als Ann in den Klauen des verliebten Über-Affen ihre berühmte Rolle der ersten „Scream Queen“ der Filmgeschichte einnehmen wird, bimst ihr der Produzent schon mal diese Funktion ein. Das Drehbuch zu King Kong schreibt so auch Denham, bevor er oder Ann oder wir das Monster zu Gesicht bekommen: „Jetzt lächeln, Ann, blick dich langsam um; jetzt den Kopf nach oben … jetzt siehst du es … es ist grauenhaft, du hast sowas noch nie gesehen … du bist wie gelähmt, kannst nicht schreien … und jetzt halt dir die Augen zu und schrei es, Ann … schrei um dein Leben!”

Wie von Carl Denham vorbestimmt, wird der Schrei selbst eine Hauptrolle in Coopers und Schoedsacks Film übernehmen. Eben diese Rolle hat – wie könnte es anders sein in einem Film übers Filmen – viel mit der neuen Technik des Mediums zu tun. Was Filme wie Broadway Melody (1929) am Beginn der Tonfilmära für spätere Musicals bedeuteten, ist King Kong für (mindestens) den fantastischen Film. Hier wird der Tonfilm nicht nur durch die ostentative Inszenierung des (weiblichen) Schreis ernst genommen, sondern auch durch eine neue Form der Sound Effects und der Filmmusik. Der für die Geräuscheffekte zuständige Murray Spivack musste für den brüllenden und vor Liebes- und Todesqualen grunzenden Affen wie für alle Ton-Facetten des von ihm zerstörten New York „praktisch bei Null“ anfangen. „Ich dachte: ‚Mein Gott, eines Tages werden sie von dir für all das Geräusche haben wollen’“, erinnert sich Spivack an Vorführungen des abgedrehten Materials.

Dass Geräusche, Schreie und Musik hier eine in der Filmgeschichte neue Einheit bilden sollten, ist schließlich vor allem das Verdienst des Komponisten Max Steiner und seiner eng am Material entwickelten Kompositionen: „Wenn ich die Melodien niedergeschrieben hatte, legte ich meine Stoppuhr auf das Klavier und arbeitete die Musik anhand meiner Aufzeichnungen so um, dass sie zu der Länge der Szenen passte.“ In diesem Sinne einer durchdachten Beziehung zwischen Filmbild, -ton und -musik hat Danny Elfman Max Steiners Arbeit zu King Kong als „the first real film score“ bezeichnet.

Vielleicht kann man sagen, dass King Kong tatsächlich mehr Film ist als die zeitgenössischen Produktionen um Dracula, Frankenstein & Co, und wenn dem so ist, könnte darin auch ein Grund für seine bemerkenswerte Deutungsgeschichte liegen. Seit der Uraufführung 1933 ist das Drama um den verliebten Riesenaffen und seinen tragischen Sturz vom Empire State Building – verstärkt durch Remakes, Fortsetzungen und Varianten wie The Son of Kong (1933), Mighty Joe Young (1949 und 1998), King Kong (1976) oder King Kong Lives (1986) – von unterschiedlichsten Lesarten begleitet worden. Das selbstreflexive, auf Publikumsmassen zielende Spektakel wurde buchstäblich angenommen: Als ausgewiesener Teil der Populärkultur und unbelastet von einer literarischen Vorgeschichte oder tradierten Deutungshoheit ist King Kong gewissermaßen ganz in den Händen derer, für die er gemacht ist. Das Publikum eignet sich Kong an, es entwirft aus den Angeboten auf der Leinwand aktiv sein eigenes Geschöpf, so wie wir auch die unterschiedlich großen Kongs im Film von Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack zu einem einzigen Wesen formen: Bekanntlich variiert die Größe des Titelhelden in King Kong – je nach Situation – zwischen sechs und über zehn Metern. „Das Allerwichtigste war“, beschrieb Cooper seine Hoffnung auf die Beteiligung diesseits der Leinwand, „das Publikum von Kong gepackt zu  wissen, denn dann wäre es ihm egal, ob er sechs oder zwölf Meter groß war.“

Die bekanntesten und naheliegendsten King Kong-Interpretationen betreffen die Fragen nach „race“ und „gender“. „Verschiedene Theorien“, fasste Ronald Haver 1983 zusammen, „nach denen der Film unbewusst rassistisch und offen sexuell gemeint sei, wurden Gegenstand ernsthafter Diskussionen, wobei Kongs Klettertour auf das Empire State Building mehr und mehr als unverhüllte Form phallischer Symbolik betrachtet wurde.“ Georg Seeßlen sah in Kong 1979 „ein Stück Natur, das vom Menschen vergewaltigt wird“. Erst „durch seine Denaturierung“ werde Kong zum Ungeheuer „und ist schließlich nur verschmähter Liebhaber, der Wilde, der die Formen und die Sprache nicht kennt, seine Bedürfnisse zu artikulieren, und der am Ende seiner Leidenschaft zum Opfer fällt“. Mit Raymond Durgnat interpretierte Seeßlen die Liebesbeziehung zwischen dem riesigen Kong und Ann psychoanalytisch als „Akt von Kinderschändung“, als „am Kind vorweggenommene Strafe für die Entfaltung als Frau“. Nicht nur „der Frauenhass des Amerikaners von 1933“ werde, so Seeßlen, „durch King Kong befriedigt“, die Zerstörung New Yorks befriedige zugleich auch seinen „Hass auf seine beengende Umwelt“.

Rasse, Klasse, Geschlecht

Wie jedoch kann man von „dem Amerikaner von 1933“ sprechen? Kong jedenfalls wird als Sklave der Unterhaltungsindustrie für ein – wie das Premierenpublikum von Denhams Kong-Show in New York zeigt – explizit weißes Amerika entführt und bleibt dabei gleichzeitig eine stete sexuelle Bedrohung für die im deutschen Verleihtitel hervorgehobene „weiße Frau“. Man brauche nicht viel Vorstellungsvermögen, kommentierte David N. Rosen 1975, um „the element of race“ in diesem Film zu entdecken: „Rassistische Konzepte beschreiben Schwarze als Untermenschen oder affenähnlich. (…) Das Bild von King Kong, der auf der Broadway-Bühne steht, kommt sehr nah an die Einstellung der weißen Amerikaner in Bezug auf Schwarze in den 1930ern: ein Objekt der Unterhaltung und des Schreckens.“ Als „gezähmter Wilder“, in – bald gesprengten – Ketten den wohlhabenden Vertretern der Ostküsten-Zivilisation dargebracht, drängt sich Kong als Sklaverei-Metapher auf. Pauline Kael hat in diesem Zusammenhang 1977 auch auf eine Lesart des Widerstands und der (vorübergehenden) Befreiung hingewiesen: „Manchmal haben Weiße den Film als eine rassistische Verleumdung beschrieben, aber die Schwarzen, die ich kenne, haben ihn alle gemocht. Es war ihre eigene, ganz spezielle, großstädtische Gorilla-Guerilla-Fantasie: der König im eigenen Land sein, in Ketten von dort weggebracht werden, stark genug zu sein, um Missachtung und Trotz über die große Stadt hinweg zu brüllen, um schließlich mit einem ruhmreichen Ausbruch unterzugehen.“

Auch als „Gorilla-Guerilla-Fantasy“ bleibt Kong indes das Andere: der Nicht-Mensch, der in seiner festgeschriebenen, bedrohlichen Differenz zur „weißen“ Zivilisation jenen stereotyp gezeichneten „schwarzen“ Ureinwohnern auf Skull Island verwandt ist, die Kong als Gott verehren und ihm zum Opfer zuallererst Ann, „die weiße Frau”, entführt hatten. Betont anders bleibt auch der radebrechende chinesische Schiffskoch Charlie (Victor Wong) innerhalb der Besatzung der Denham-Expedition, der mit der Erklärung, das sei nichts für einen Koch, von der Rettung Anns ausgeschlossen wird und dadurch als einer der wenigen überlebt. Dass man als Nicht-Weißer seinen zugeschriebenen Platz kennen und behalten sollte, ist eine der rassistischen Lehren, die in King Kong zu entdecken sind.

Jenseits dieser Interpretation hinsichtlich Geschlecht und „Rasse“ und der damit verbundenen Lesarten in Richtung etwaiger Zivilisationskritik lässt sich King Kong auch als Beitrag zur Klassenfrage verstehen. Susan Buck-Morss hat 2000 in ihrem viel beachteten Buch „Dreamworld and Catastrophe“ antidemokratische Tendenzen im Film ausgemacht und Kong als gigantische Metapher der Masse, genauer: der US-Arbeiterklasse beschrieben. Ausgehend von verblüffenden Ähnlichkeiten – „in both form and content“ – zwischen einem Filmposter von King Kong auf dem Empire State Building und dem ebenfalls 1933 vorgelegten Entwurf zum Palast der Sowjets in Moskau, diskutiert Buck-Morss den Fall Kongs als Angstfantasie: ein Film über die Bedrohung einer von der kommunistischen Revolution inspirierten Arbeiterklasse und über deren Niederwerfung.

Damit nähert sich Susan Buck-Morss einer Deutung, die bereits 1974 von Gerald Perry vertreten und 1975 von David N. Rosen präzisiert worden war. So deutlich das Drama der Wirtschaftskrise um 1933 den Beginn von King Kong prägt – der Macher Denham entdeckt und rettet seinen zukünftigen Star Ann beim verzweifelten Mundraub auf der Straße –, so klar sah Gerald Perry eine Parallele zwischen Carl Denham und dem neu gewählten Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Für Perry liegt der historische Kern des Films – „the political meaning of King Kong“ – im Umgang mit der Depression: Wie Roosevelt will Denham mit dem „achten Weltwunder“ neue Hoffnung im Elend schaffen, sein King Kong ist für Perry die fantastische Version des „New Deal“ der beginnenden Roosevelt-Ära.

Ich will Monster und hysterische Eingeborene“

Dass und wie diese Vision tragisch endet, macht King Kong für Perry zu einer pessimistischen, reaktionären Antwort auf Roosevelts Versprechen jenes „new deal for the American people“ vom Juli 1932. Die neue Sensation, der „New Deal“, entpuppt sich als marodierendes Monster, das David N. Rosen in diesem Sinne als Drohung der aufbegehrenden, ihre Ketten sprengenden Massen interpretiert hat. Nachdem der Macher Denham/Roosevelt, der seinen Leuten mehr als einmal die Devise „Kopf hoch!“ anempfiehlt, sein Versprechen von „Geld, Ruhm und Abenteuer“ wahr und das Mädchen aus der Gosse tatsächlich zum Star gemacht hat, wird das neue Weltwunder zum unkontrollierbaren Schrecken, der nur blutig rückgängig gemacht werden kann. Kong muss zerschmettert in eben der Gosse enden, die er zu überwinden versprach.

Dieser kleine Ausschnitt von möglichen Zugängen zu King Kong erzählt etwas davon, wie populäres Kino populär wird. Zu den verschiedenen ökonomischen, personellen, technischen und institutionellen Bedingungen sowie historischen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontexten, die allesamt die Entstehung eines Filmes prägen, kommt noch das Engagement unserer Wahrnehmung hinzu. Wir arbeiten mit dem gegebenen Material, bei dessen Herstellung man sich schon 1933 auf unsere Eigenleistung verlassen konnte. Edward Brannigan hat die Angebotspolitik des klassischen Hollywood-Kinos als „excessive obviousness“ beschrieben, als maßlose Augenscheinlichkeit. Diese Form des Kinos, so Brannigan, wird versuchen, das zu sein, was wir als Publikum darin zu sehen wünschen, indem es sich für Perspektiven öffnet, die wir als Träume, Ängste, Medien-, Film- und Welterfahrungen mitbringen mögen.

Ganz gleich also, welches Konzept Peter Jackons schon als Ankündigung omnipräsentes Remake verfolgen wird – auch der King Kong von 2005 wird es mit uns, den Zuschauern, zu tun bekommen. Interessant sind da bereits die machtvoll verbreiteten Ankündigungen Jacksons, sich eng am Original zu orientieren und Kongs Depressionsgeschichte von 1933 eben nicht, wie etwa im 1976er Remake, in das Heute zu verlagern. Genau damit öffnet sich für King Kong ein anderer Weg ins Jetzt. Die in der Tragödie von New Orleans zu einem neuen Bild gekommene Krise des auch in Sachen Staatsfinanzen stark angeschlagenen Amerikas von George W. Bush und die jüngsten Diskussionen um einen strukturellen Rassismus in den USA könnten neue Analogien herausfordern.

Jackson jedenfalls betont, „die realistischste Version von New York in dieser Zeit“ zeigen zu wollen, und es scheint, als könnten darüber hinaus auch die Diskussionen um den Kong-Rassismus neue Nahrung finden: „Heutzutage ist alles ,postmodern‘ und ‚postapokalyptisch‘, das interessiert mich nicht. Ich will zurück zu Inseln, auf denen Monster und hysterische Eingeborene leben!“ Bis jedoch Peter Jackson „sein“ Geschöpf am 14. Dezember weltweit enthüllen wird, muss all das bloße Spekulation bleiben. Dann wird sich zeigen, was wir mit diesem King Kong anfangen können.

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 11/ 05