Der neue Film von Wes Anderson taucht ein in die Welt eines Meeresbiologen und seines Teams, bei dem Ausstattung, Geste und Lust am Abenteuer mehr wiegen als alles andere. Diese Welt ist reines Kino: eine Bewegung zwischen lakonischer Absurdität, Sarkasmus und liebevoller Ernsthaftigkeit

Nach den Royal Tenenbaums ist Wes Anderson, die Regie-Entdeckung der ausgehenden neunziger Jahre, buchstäblich abgetaucht. Von seiner Expedition hat er einen wunderbar besetzten Film mitgebracht, der von Menschen, Fischen und roten Pudelmützen handelt. Unter anderem.

Es beginnt in einem illuminierten Saal, gleich wird der neue Film von Steve Zissou (Bill Murray), dem in Erfolg und Eigensinn ergrauten größten Filmstar und Abenteurer unter den Meeresbiologen, seine weltweit mit Spannung erwartete Premiere feiern. Das kann kein Zufall sein. Wer nach den Royal Tenenbaums fast drei Jahre auf Die Tiefseetaucher, im Original: The Life Aquatic with Steve Zissou, gewartet hat, findet hier ein Spiegelbild; vielleicht eine Aufforderung, sich in diesem ausgestellten Erwartungsmoment der eigenen Erwartungshaltung bewusst zu werden. „Der neue Anderson“ ist „der neue Zissou“.

Worum es geht, ist dann auch diesem Zissou-Film, „The Jaguar Shark“, zu entnehmen: Ein mächtiger Vertreter einer bislang unentdeckten Hai-Spezies hat Zissous Mitarbeiter und Freund Esteban (Seymour Cassel) gefressen. Das heißt, zu sehen war außer bewegtem Wasser und einem aufgeregt japsenden Steve Zissou rein gar nichts. Ob es eine Entscheidung gewesen sei, wird Zissou bei der anschließenden Pressekonferenz gefragt, den ominösen Jaguar Shark nicht zu zeigen? „No, I dropped the camera.“ Was Zissou nicht hinderte, sich mit seiner Mannschaft und seinem Schiff, der Belafonte, schnellstmöglich aufzumachen, den Hai zu finden und zu erlegen. Wie man denn ein Tier töten könne, dessen Art vermutlich vom Aussterben bedroht sei? „I don’t know. Revenge?!“

Tatsächlich wird die Belafonte zur Jagd auslaufen und sich am Ende erweisen, was es mit diesem schillernden, vielleicht erfundenen, mit Projektionen aufgeladenen Moby Dick auf sich hat. Dass damit jedoch so gut wie nichts über The Life Aquatic gesagt ist, hat mit einem besonderen Prinzip der Fülle zu tun. Wie schon Andersons Bottle Rocket, Rushmore und The Royal Tenenbaums ostentative Teamarbeiten gewesen sind, die von Einzelgängern, Familien und Freundschaften handeln, indem sie Ensembles in den Mittelpunkt stellen und Vielfalt in Bewegung übersetzen, können Momentaufnahmen auch dem neuen Film nicht gerecht werden.

Es müsste immer von allem die Rede sein: vom vielköpfigen Team Zissou um den in unerschütterlicher Hingabe entflammten Deutschen Klaus Daimler (Willem Dafoe) und vor allem von Steves selbstbewusster Ehefrau Eleanor (Anjelica Huston), dem eigentlichen Hirn der Truppe, das schon deshalb so unverzichtbar ist, weil kein anderer im Team auch nur den Hauch einer Ahnung hat von Meeresbiologie.

Weil Ausstattung, Geste und Lust am Abenteuer im Team Zissou mehr wiegen als alles andere, müsste ein Text über The Life Aquatic seitenlang von den roten Pudelmützen und den hellblauen Uniformen handeln; vervollständigt durch die Pistolengurte mit den automatischen Waffen Marke Glock, die so lange als absurde, einfach gewollte Requisiten erscheinen, bis irgendwann ein ebenso absurder Krieg gegen eine Horde moderner Südseepiraten ausbricht. Das Schiff selbst müsste Raum für Raum beschrieben werden mit all den Querschnittbildern eines altmodischen, Holz und Metall gewordenen Kindertraums. Und damit wäre noch immer nichts annähernd Angemessenes gesagt, ohne die Filmmusik einzublenden – zuerst die Songs von David Bowie, die in Seu Jorges portugiesischer Gitarrenversion ebenso zwischen Vertrautheit und Fremde oszillieren wie das Leben an Bord.

Dass wir es hier mit einer fantastischen Exploitation-Variante von Jacques Cousteau zu tun haben, mag schon früh klar gewesen sein. Wie ernst jedoch der Film diesen grotesk gewendeten Gegenentwurf nimmt, wie liebevoll er ihn ausarbeitet, zeigen gerade die Bilder, die sich The Life Aquatic vom Meer macht. Unter Wasser begegnen wir haarscharf an der Realität vorbei schwimmenden Wesen, die von Henry Selick (The Nightmare Before Christmas) im Stop-Motion-Verfahren kreiert wurden. Was unter Wasser lebt, ist nicht weniger phantastisch als die lapidare Herangehensweise des graubärtigen Kindes Zissou: „Nobody knows, what’s going to happen an’ then we shoot it – that’s the whole concept.“

Das Wunderbarste an The Life Aquatic aber liegt darin, dass die gleiche Bewegung zwischen lakonischer Absurdität, Sarkasmus und einer alles bestätigenden, liebevollen Präzision weit mehr als nur den Horizont von Steve Zissou beschreibt. Ein Herzstück dieser Bewegung ist die Geschichte von Ned Plimpton (Owen Wilson), der seinen Job als Co-Pilot bei Air Kentucky aufgibt, um herauszufinden, ob der Held seiner Kindheit, ob Steve Zissou sein Vater ist. Und so sehr The Life Aquatic ein Film über diese Vater-Sohn-Beziehung ist, so sehr wird dies ebenso ein Film über die Journalistin Jane (Cate Blanchett), die hochschwanger zum Team Zissou stößt und ein weiterer Teil der heterogenen Familie wird.

Die Unmöglichkeit, den Film retrospektiv auf einen Punkt zu bringen, ist letztlich ebensowenig ein Zufall wie der Beginn von The Life Aquatic. Denn diese Offenheit korrespondiert direkt mit der offenen Frage, ob die Abenteuer des Teams Zissou nun ein Fake waren und sind oder nicht. Für die eine wie die andere Bestimmung wäre Distanz nötig – stattdessen aber feiert The Life Aquatic with Steve Zissou Bilder einer fantastischen (Meeres-) Welt, in der – wie im Kino – alles möglich ist.

Autor: Jan Distelmeyer

Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film 02/ 04