Ballade vom unbezahlbaren Wert der Liebe
Ein hinreißender Film von Autor-Regisseur Rudolf Thome

Rudolf Thome stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Er ist der Sohn eines Buchhändlers. Dazu konnte er auch noch eine fundierte Bildung genießen. Der inzwischen 71-jährige hat beispielsweise Philosophie und Geschichte studiert. Und, last but not least, er hat den letztlich kläglich lächerlichen Versuch des bundesdeutschen Aufbruchs der so genannten 68-er zu neuen gesellschaftlichen Ufern miterlebt. Da darf es einen nicht wundern, dass dieser Mann kluge, schöne Kunstwerke schafft, getragen von dem Wissen um die Vergänglichkeit allen Menschlichen, getrieben, so scheint’s, immer auch von den Sehnsucht danach, genau dieser Vergänglichkeit ein Schnippchen zu schlagen. Und immer voller Ironie.

„Das rote Zimmer“, sein neuester Kino-Spielfilm, macht da keine Ausnahme. Wiewohl: Dieser Film kommt einem ungleich härter vor als mancher der davor entstandenen, wie beispielsweise – ja, das sind meine persönlichen Thome-Favoriten – „Das Mikroskop“ (1988), „Sieben Frauen“ (1989) oder „Das Geheimnis“ (1995). Thomes Filme feiern die Frauen. Aber, und das ist das Ehrliche daran: Thome tarnt sich nicht als männlicher Vorkämpfer der Frauenemanzipation. Er ist ein Mann, der Frauen bewundert, auch schon mal anbetet, der ihnen (das altmodische Wort bezeichnet es vielleicht am besten) huldigt. Ja, und, herrlich, dabei guckt er ihnen auch mal auf den Arsch!

In „Das rote Zimmer“ steht das Geld im Mittelpunkt; genauer gesagt: das Geld schwebt über dem Zentrum der Erzählung, mal ganz leicht, mitunter auch lastend. Damit verrechnen sich nahezu alle der Handelnden unentwegt gewaltig. Im übertragenen Sinn. Lässt sich der Wert des Menschen in Zahlen einfangen? Die böse Frage lauert durchweg in dieser mal angenehm melancholischen, mal herrlich albernen, immer intelligenten Komödie. Es geht nun mal darum, was das Leben kostet, erst Recht die Liebe, und das Sterben auch. Das ist ja die größte Angst aller Thomeschen Typen: Tot zu sein bei lebendigem Leib.

Hierfür lässt Rudolf Tome eine kleine Anzahl skurriler und rührender Protagonisten aufleuchten. Da ist erst einmal Fred Hintermeier (Peter Knaack). Der Enddreißiger erforscht, was im menschlichen Körper beim Küssen passiert. Kein Wunder, dass der Mann vorm Scheidungsrichter landet. Auch die etwa ein Jahrzehnt jüngere Schriftstellerin Luzie (Katharina Lorenz) forscht. Zusammen mit ihrer noch mal knapp zehn Jahre weniger auf dem Buckel habenden Geliebten Sibil (Seyneb Saleh) sucht sie nach den Seelen, dem Inneren, dem Wert (!) der Männer. Dadurch trifft die Luzie auch den Fred. Er landet in ihrem Haus im Nordosten Deutschlands. Er bleibt. Damit kommt Bewegung in die verschiedenen teuren Lebensläufe. Was Rudolf Thome, wie wunderbar, nicht in Hektik verfallen lässt. Er schaut weiter augenzwinkernd zu, ganz ruhig, und er vermittelt uns, dem Publikum, so die Lust am Schauen. Das hat nichts Voyeuristisches. Dazu ist das zu rein. Unschuldig, nein unschuldig ist es nicht. Thome ist nicht weltfremd. Aber er braucht keine Schmuddelbilder, um wahrhaftig zu erzählen.

Ganz klar: Der Buchhändlersohn ist wieder auf den Spuren der Wahlverwandtschaften. Wie schon Goethe zeigt er eine Versuchsanordnung, wenn er das Dreigestirn der zwei Frauen und des einen Mannes in dörflicher Idylle voller Ecken und Kanten begleitet. Anders als Tom Tykwers thematisch durchaus ähnliche Vision „Drei“ hat das aber nie etwas Angestrengtes, Angeschafftes, Aufgesetztes. Thome zeigt einen wirklich flotten Dreier. Hier wird nicht unentwegt gequatscht, wenn’s ans Eingemachte geht. Hier wird gelebt und geliebt und ein bisschen gelitten.

Das geheimnisvolle rote Zimmer? Das ist ein ganz banaler Raum, in dem Banales geschieht. Nur, wie es geschieht, und wie dieser Raum dazu einlädt, sich einzulassen aufs Banale, das ist einfach märchenhaft schön. Und auch ein bisschen gespenstisch. Märchen erschrecken einen ja immer etwas. Die Quadratur des Kreises bohrender Leidenschaften, die Thome hier mit einer durch und durch kunstvoll choreographierten Schauspielführung und Inszenierung gelingt, bekennt sich selbstbewusst zum Spiel mit dem Naiven. Da hat denn sogar die Göttin Venus ihren hübsch beiläufig anmutenden Auftritt. Rudolf Thome hat den Mut, nichts und niemand groß zu erklären. Das Leben erklärt bekanntlich auch selten. Es schlägt nur sehr oft unvermittelt herzhaft-gemein zu. Auch hier. Am Ende drängt sich das Geld noch einmal resolut in den Vordergrund. Ein Vertrag muss her. Der Schlag der Herzen allein genügt nicht zur Besiegelung der Einigkeit des Trios. Glück will bezahlt sein, und damit abgesichert, wenigstens auf dem Papier. Da bleibt einem nur das ewige Raunen der See als Trost. Mit ironischem Blick auf unser aller Harmoniebedürfnis hat Rudolf Thome auch das parat – und entlässt sein Publikum damit aus einem der schönsten Liebesmärchenfilme voller bittererer Wahrheiten, die je im deutschen Kino herausgekommen sind. Ein Hochgenuss für ein an Geistreichem interessiertes Publikum, das keine Angst vor Gefühlen hat, und erst Recht nicht vor Geheimnissen. Chapeau!

Peter Claus

Das rote Zimmer, Rudolf Thome (Deutschland 2010)

Bilder: Prometheus Film-Verleih