Jahrzehnte galt Folgendes als typisch französisches Kino: Viele Menschen reden viel, und tändeln noch mehr. Das ist es. Ansonsten passiert fast nichts. Dieses Nichts aber ist so zauberhaft aufbereitet, dass man ohne Wenn und Aber gut gelaunt aus dem Kino geht.

Der vor etwa eineinhalb Jahren verstorbene 89-jährige Eric Rohmer  hat mit Filmen wie „Das grüne Leuchten“, „Pauline am Strand“ oder „Herbstgeschichte“ manch solcher klugen Nichtigkeiten gedreht. Ein Nachfolger war bisher nicht auszumachen. François Ozon kam ihm, zuletzt mit „Potiche / Das Schmuckstück“, recht nah. Doch sein Hang zu üppigen Ausstattungen, ebensolchen ProtagonistInnen und Showeinlagen steht ihm im Weg. Jetzt aber empfiehlt sich der bisher als Schauspieler und Ex-Mann von Diane Kruger bekannte Guillaume Canet als Nachfolger von Rohmer. Sein dritter Spielfilm jedenfalls gibt zu den schönsten Hoffnungen Anlass.

Die Story in Stichworten: Einige Pariser Freunde fahren jeden Sommer für ein paar Wochen gemeinsam nach Südfrankreich. Ein bisschen Sex, gutes Essen und jede Menge Wein bestimmen das Treiben. Diesmal aber fehlt einer. Er liegt nach einem Motorradunfall im Krankenhaus. Die Ferien der anderen werden verkürzt. Dem Freund zuliebe. Gute Stimmung kommt sowieso nicht auf. Statt champagnerleichter Erholung gibt’s Zoff zum Rotwein am Strand – und einiges an Selbsterkenntnis.

Noch das Schwerste wird, wie einst bei Rohmer, leicht genommen. Zwar wird manch schwerwiegendes psychologisches oder soziales Problem attackiert, doch bleibt der Ton der Erzählung milde. Selbst mit Gevatter Tod lässt sich schließlich vortrefflich übers Sterben plaudern, solang man dem Sensenmann nicht den Arm reichen muss.

Esprit, Charme, Intelligenz vereint Guillaume Canets Drehbuch, das er selbst angenehm leicht inszeniert hat. Klar: Hier geht kein Dialog wirklich in die Tiefe, keine Szene erhellt tatsächlich das Düstere des Seins. Aber mit Witz und auch mal sanfter Melancholie werden gelegentlich durchaus hässliche Wahrheiten des menschlichen Miteinanders aufgespießt.

Serviert wird der trotz mehr als zwei Stunden Spieldauer vollkommen kurzweilig anmutenden Episodenreigen von exzellenten Schauspielern. Die 2007 mit „La vie en rose“ und dem „Oscar“ dafür weltbekannt gewordene Marion Cotillard, seit etwa der Zeit auch Lebensgefährtin von Canet und Mutter des gemeinsamen Kindes, führt das exzellente Ensemble an. Benoît Magimel, François Cluzet, Jean Dujardin, Gilles Lellouche, Laurent Lafitte folgen ihr lustvoll. Das Karussell von Selbstverliebtheit und Selbstbetrug wird von ihnen allen mit spürbarer Spielfreude auf Trab gehalten. Der Reigen der Figuren wirkt auch insbesondere dank des facettenreichen Spiels der Akteure nur auf den ersten Blick lustig. Hinterm Spaß lauert der Ernst des Lebens. Die einen ertränken ihre Unzufriedenheit mit sich selbst in Alkohol, andere betäuben sich mit Arbeit, wieder andere flüchten in eine geradezu kindische Naivität. Der kurze Sommer am Strand hetzt sie, ausgelöst durch das Drama um den Freund, in existentielle Krisen, aus denen sie sich nicht mit flockigen Sprüchen und Sex Appeal flüchten können. Das süße Leben will bezahlt werden. Bar. Da wird’s dann auch bitter – wie im wahren Leben. Allerdings, typisch französisch, gibt’s dann noch eine Extra-Drehung – und, wie einst bei Rohmer, geht man fast beseelt nach Hause.

Peter Claus

Kleine wahre Lügen, Guillaume Canet (Frankreich 2010)

Bilder: Tobis