Bernd Böhlich gehört zu den Letzten, die am Ende der DDR in Potsdam-Babelsberg Regie studiert haben. Und er gehört zu den Besten. In den 1980er Jahren fiel er mit subtilen DDR-Fernseh-Filmen auf, in denen er in intelligent-doppeldeutigen Dialogen und in vielsagenden Bildern ungeschminkt Wirklichkeit zeigte. Die „Polizeiruf 110“-Folge „Eifersucht“ ist bis heute eine der besten, die je entstanden sind.

Bernd Böhlich ist ein Regisseur, der Schauspieler spürbar liebt, der ihnen alles Leuchten schenkt, der für sie – und damit für das Publikum! – arbeitet. Leider hat er erst relativ spät sein Kino-Debüt gegeben, 2006 gedreht, 2007 in die Kinos gekommen, und erfreulicherweise ein runder Erfolg – „Du bist nicht allein“. Alles, was Böhlich an Gutem nachgesagt werden kann, fand sich hier: eine intelligente, psychologisch ausgefeilte Geschichte (von Bernd Böhlich selbst geschrieben), eine feinfühlige Inszenierung, wunderbares Schauspiel.

Nach „Der Mond und andere Liebhaber“ (2008) nun also diese Komödie fürs Kino. Böhlich erzählt vom Alltag von Alten. Der Film beginnt mit der „Ablieferung“ der in die Jahre gekommenen Frau Simon (Angelica Domröse) im Seniorenheim. Wir begleiten sie – und fühlen uns in der organisierten jede Individualität erstickenden Langeweile sofort unwohl. Angelica Domröse, Bernd Böhlich und Kameramann Florian Foest müssen dazu nicht auf die Pauke hauen. Das Grau der Szenerie, die Leere des Blickes von Frau Simon, das Schleichen der Kamera erzählen alles. Großartig! Langsam gewinnen weitere Figuren Raum, vor allem der rebellische und auch realistische Herr Tiedgen (Otto Sander). Auch er: ein Abgeschobener. Auch er: leise, vorsichtig, verhalten, selbst noch im Aufmucken. Nur Amelie (Anna-Maria Mühe) ist laut. Sie, die eklig-freundliche, scheußlich-praktische Pflegerin geht patent und unbekümmert durch das Haus und den Garten. Und sie kann den Schützlingen noch nicht einmal einen Hauch von Lebensfreude schenken. Denn sie versteht deren Situation nicht einmal ansatzweise. Auch das wird wunderbar sensibel erzählt. Großes Kino? Bis hierhin ja! Dann, leider, kippt’s ins Nichtige. Die schön-schräge Story von der Entführung des Fliegers beim Rundflug über die nähere Umgebung in die Ferne des Südens Europas ist nett und neckisch, aber sie ist leider nicht mehr. Es fehlt an Zuspitzung. Keine der Filmfiguren wirkt je bedroht, in Gefahr, dem Bösen ausgesetzt. Über allem liegt eine diffuse „Es wird schon alles gut“-Atmosphäre. Das macht den Film lau.

Mit den schon Genannten agieren tolle Schauspielerinnen und Schauspieler noch in kleinsten Rollen. Da gibt es viele schöne Szenen mit Marion van de Kamp, mit Monika Lennartz, mit Thilo Prückner, mit Ralf Wolter und all den anderen. Kabinettstückchen. Die Domröse ist einfach zum Niederknien. Ein Zucken um die Mundwinkel, ein Augenaufschlag, ein leichtes Zittern der Hand, wenn sie raucht – da ist die Sehnsucht der Figur nach Kraft, nach Liebe, nach Leben spürbar, ohne dass die Schauspielerin auf die Tube drückt. Warum sehen wir Angelica Domröse nicht mindesten einmal pro Jahr in einer Hauptrolle? Auch Otto Sander begeistert. Auch er muss scheinbar nichts „machen“ – und erzählt so viel.

Doch es fügt sich nicht wirklich zum mitreißenden Erzählstrom. Dennoch: Hingehen und ansehen. Der feine Geist, der dank des Drehbuchs und der Inszenierung von Bernd Böhlich die einzelnen Szenen prägt, das Schauspiel, es lohnt sich. Erfreulich – und das versöhnt zusätzlich – ist, dass Bernd Böhlich deutlich für ein breites Publikum arbeitet. Hier geht es nicht um Theorien, nicht um irgendwelche ausgetüftelten ästhetischen Konzepte für ein paar Auserwählte, hier geht es darum, anspruchsvoll zu unterhalten und ans Herz zu rühren. Die Erkenntnis, dass das Altern nichts für Feiglinge ist, wird klug illustriert. Ein bisschen mehr Pfeffer in der Erzählung, mehr Mut, dem Schrecklichen realistisch Raum zu geben, hätten gut getan; und ein Schnitt dazu: der letzte Dialog (Otto Sander und Ralf Wolter haben ihn) ist zu schlicht-schön und lässt plötzlich dem Süßlich Raum. Was für ein Kontrast zum Filmbeginn: Da wird die Inkontinenz von Frau Simon thematisiert – ganz feinfühlig, aber deutlich. Es schnürt sich einem der Hals zu! Am Ende lächelt man denn doch eine Spur zu blödselig. Ende vor dem Schluss-Dialog – schön wär’s.

Trotz der Einwände: Das Positive bleibt! Und eine leise Hoffnung, nämlich die, dass auch ein paar deutsche Großproduzenten sich den Film angucken, und dass die dann Bernd Böhlich mal so richtig viel Geld für einen aufwändigen Kinofilm geben. Er hat’s verdient!

Peter Claus

Bis zum Horizont, dann links!, von Bernd Böhlich (Deutschland 2012)

Bilder: Neue Visionen