Vor neun Jahren hat Andreas Dresen den brandenburgischen Lokalpolitiker Henry Wichmann in „Herr Wichmann von der CDU“ als Don Quichotte der deutschen Politik gezeigt, als Mann reinen Herzens, der wirklich Politik für die Durchschnittsmenschen machen will, einer, bei dem man sich fragt, ob man den eigenen Politiküberdruss nicht ablegen und sich selbst stärker engagieren sollte.

Ein starker Antrieb für Henryk Wichmann ist, dass er vor einem Jahrzehnt versuchte, ein Bundestagsmandat zu erringen, und dabei scheiterte. Andreas Dresen zeigte das ohne Häme, aber mit Humor. 2009 rückte Henryk Wichmann in den Landtag nach. Dresen kam sofort auf die Idee einer Fortsetzung seiner Dokumentation. In den Ablauf der Ereignisse, in das Geschehen, hat Dresen nicht eingegriffen. Seine zwei Kameramänner Andreas Höfer und Michael Hammon, manchmal führte Dresen die Kamera auch selbst, bleiben immer in kluger Distanz, zeigen ohne Inszenierung, was geschieht. Dabei wird niemand vorgeführt. Wie seltsam mancher Zeitgenosse auch auftritt oder argumentiert, nie wird jemand lächerlich gemacht. Man spürt, dass Andreas Dresen ehrlich die Mühen der Ebenen zeigen will, dazu beitragen möchte, Vorurteile abzubauen.

Henryk Wichmann nimmt sich jeden Problems an. Abgeordneter im Landkreis Uckermark, geht er zu den Leuten, stellt sich den persönlichen Begegnungen. Wichmann bleibt auch dann ruhig und höflich, wenn er absurdeste Ansichten anhören muss. Der 35-Jährige weiß, dass seine Arbeit an der Basis gebraucht wird, im Alltag, da wo den Leuten die Schuhe drücken. Andreas Dresen zeigt das ungeschminkt. Ein Jahr lang hat er den Provinz-Politiker begleitet, einen Macher, einen, der die Leute nicht enttäuschen will. Und er erreicht auch was, gegen Bürokratie und Dummheit. Hochachtung! Besonders stark ist der Film, da er Wichmanns Einsatz für einen Hartz-IV-Empfänger zeigt, den die lieben Nachbarn aus dem Mietshaus vergraulen wollen. Da zeigt der Film in fast schmerzlicher Intensität, welche Brutalität das Denken vorgeblich braver Bürger in diesem Land schon angenommen hat.

Per Mikrofon sitzen wir gemeinsam mit Herrn Wichmann in der dritten Reihe im Landtag. Da dürfen wir lauschen – und kommen so der Routine von Politik-Alltag erstaunlich nahe. Da wird dann auch ein Henryk Wichmann zu einem, der einfach nur funktioniert. Abstimmung, Handhoch, weiter im Text – da wird das Hirn denn doch auch mal ausgeschaltet. Es spricht für die Größe des Protagonisten, dass er, obwohl Dresen ihm das Recht dazu eingeräumt hat, solche Momente nicht aus dem Film verbannt hat.

Die Sensibilität des Beobachters Andreas Dresen überträgt sich durch die kluge Montage auf das Publikum. Man beginnt zurückhaltender über Menschen zu urteilen, die sich in der Politik abrackern, kann auch Motive verstehen, ohne sie gutzuheißen, die einem selbst nicht entsprechen. Da gedeiht eine Toleranz, die man sich in viel stärkerem Maß als Alltäglichkeit wünscht!

Peter Claus

Herr Wichmann aus der 3. Reihe, von Andreas Dresen (Deutschland 2012)

Bilder: Piffl