Der Engläner Terence Davies hat sich 1988 mit „Distant Voices, Still Lives“ und 1992 mit „ The Long Day Closes“ ins Gedächtnis von Filmfreunden eingeschrieben. Danach kam wenig, nichts von gleicher Intensität.

Und nun: die Story einer schönen, reichen Frau im London der 1950er Jahre. Sie ist verheiratet, verliebt sich aber in einen anderen. Soll sie ausbrechen und sich dem jungen Mann ganz hingeben, anvertrauen, also ein neues Leben beginnen? Und irgendetwas stimmt mit dem Knaben auch nicht? Lässt sie sich etwa auf ein viel zu gefährliches Spiel ein?

Das klingt nicht originell. Ist es aber. Schon die beiden erstgenannten Filme waren autobiographisch eingefärbt und spielten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch diesmal widmet er sich dieser Zeit des Umbruchs, des gesellschaftlichen Aufbegehrens. Auch diesmal erzählt er von etwas, das ihm offenbar nah ist. Und das macht’s spannend.

Hester, die Frau im Zentrum der Geschichte, wird hinreißend von Rachel Weisz verkörpert. Ihre Präsenz wird gleichsam zum Schlüssel für den Zuschauer, zum Schlüssel in eine fremde Welt. Doch all das, was diese Welt so bedrohlich macht, Existenzängste, Ungerechtigkeiten, sozialer Verfall, all das ist wohl niemandem fremd. Dazu kommt Davies’ Lust an üppigen Bildern voller Verweisen auf die Seelenzustände der Protagonisten. Es ist ein Gleiten und Tanzen, dass es einen vor Wonne schaudert. Lange Einstellungen ermöglichen es dem Publikum, sich wirklich einzufühlen. Gelegentlich schimmert durch, dass hier ein Theaterstück verfilmt wurde, aber nur gelegentlich, und nie störend. Der Sog der Bilder, die Montage von optischen und akustischen Signalen, das ist von verführerischer Schönheit. Doch diese Schönheit wird nie Selbstzweck. Sie geleitet die Zuschauer zum Eigentlichen, der Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben – also zu einem wirklichen Kunstgenuss.

Peter Claus

The Deep Blue Sea, von Terence Davies (England/ USA  2012)

Bilder: Kinostar