Anti-Kriegsfilme haben oft das Problem, über die Darstellung von Gewalt doch eher Kriegsfilme als Anti- zu sein. Nicht selten tappt die Kunst mit an sich gelungener Ästhetisierung in diese Falle. Da wird das Sterben zum Spektakel, zur Show. Der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa zeigt in seinem im Mai dieses Jahres beim Festival von Cannes viel beklatschten Film, dass es auch anders geht. Er erzählt eine scheinbar ganz kleine, private Geschichte mit scheinbar kleinen gestalterischen Mitteln – und spiegelt darin die große Macht des Krieges, die immer alle Menschlichkeit raubt und zerstört.

Die Handlung führt ins Jahr 1942 in Russland: deutsche Nazis und russische Partisanen liefern sich erbitterte Schlachten. Wer von den Einheimischen in Verdacht gerät, mit den Deutschen zusammen zu arbeiten, wird zermalmt. In einer solchen Situation kann es schnell passieren, dass Menschen, die versuchen, sich aus allem herauszuhalten, Mitten ins Grauen geraten. Bahnarbeiter Sushenya (Vladimir Svirskiy) passiert genau das. Der naive Mann gerät in die Fänge der Nazi-Getreuen, wird gefoltert aber nicht getötet, was wiederum im Dorf zu dem Glauben führt, er sei ein Verräter und diene nun den Besatzern. Die Partisanen Burov (Vladislav Abashin) und Voitik (Sergeï Kolesov) kommen, um ihn hinzurichten. Sie holen ihn aus der Familie. Sushenya folgt, ist sich gewiss, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben. Doch es kommt ganz anders. Die Nebel der Historie fressen ihn gleichsam auf – und es ist nicht sicher, ob sie ihn jemals wieder in ein Leben in Würde entlassen.

Der Film arbeitet nicht mit abgegriffenen Freund-Feind-Bildern. Drei Figuren genügen, um die Weltgeschichte mit ihren furchtbaren Folgen für den Einzelnen zu reflektieren. Das Publikum wird nicht zu den Schlachtfeldern voller Panzern und so weiter geführt. Die übliche Show bleibt aus. Im Zentrum der Beobachtungen steht das gegenseitige Sich-Belauern derer, über deren Köpfe hinweg dieser Krieg geführt wird. Keiner hat je Sushenya und die anderen gefragt. Sie werden dem Gang der Welt unterworfen, dem Schlachten und Morden. Kann es ihnen dennoch gelingen, halbwegs Mensch zu bleiben? Diese Frage treibt den Film an. Dabei wird der Wald zu einem Sinnbild des Labyrinths, in das die so genannten kleinen Leute von denen, die sich für die Großen halten, allzu oft gehetzt werden, ins Verderben. Regisseur Sergei Loznitsa erzählt davon auf eine Art, die an Klimow denken lässt und auch an Tarkowskij. Aber er kopiert die berühmten Vorgänger nicht. Ihm gelingt ein ganz eigenes, manchmal auch eigenartiges Kunstwerk.

Peter Claus

Im Nebel, von Sergei Loznitsa (Russland/ Lettland/ Deutschland/ Niederlande 2012)

Bilder: Neue Visionen