Ein Dokfilm zum Thema Demenz. Da schrecken viele sicherlich erst einmal zurück – aus Angst vor der Konfrontation mit dem Schrecken, der mehr und mehr Menschen mit zunehmendem Alter erreicht. Aber: Diese Doku lohnt das Sehen ohne Wenn und Aber.

Wie schon mit „David wants to fly“ beweist David Sieveking wieder ein feines Gespür für Zwischentöne. Der Film ist im Grunde der persönliche Abschied von seiner Mutter Gretel. Mit der Demenz verliert sie mehr und mehr die Persönlichkeit, die sie über Jahrzehnte war. Ein Prozess, der für alle Beteiligten sehr schmerzhaft ist. Ausgangspunkt des Films: Um den Vater ein wenig zu entlasten, zieht der Filmemacher für einige Wochen zu seiner Mutter, während der Vater endlich einmal ausruhen kann. David Sieveking lernt dabei eine völlig andere, eine für ihn neue Frau kennen.

Gretel Sieveking wird trotz aller Einschränkungen als starker Charakter gezeigt. Sie ist eine Frau voller Humor und Kraft. Wohl auch deshalb, konnten Gretel und ihr Mann die Demenz handhaben, ja sogar nutzen, um einander noch einmal näher zu kommen. Die Erkundung ihrer gemeinsamen Vergangenheit zeigt, wie die Gegenwart reifen konnte. Je länger der Film dauert, umso stärker wird er auch zu einer Analyse des Lebens eines sehr frei und offen lebenden Paares, das mit dem Schlagwort „Alt-68er“ durchaus treffend bezeichnet werden kann. Dabei entsteht über den Blick auf Gretel und ihre Familie auch ein spannendes Zeit- und Gesellschaftspanorama.

Sehr oft darf gelacht, zumindest geschmunzelt werden. Das geht aber niemals auf Kosten der Protagonisten. Denn der ihnen eigene Humor lädt dazu ein. So hält man es auch aus, wenn der geistige und körperliche Verfall Gretels deutlich wird. Da David Sieveking den Film voller Liebe und Verständnis realisiert hat, bleibt er durchweg würdevoll. Er kommt den Charakteren sehr, sehr nah. Aber da ist immer auch eine dezente Distanz. Das ist so klug wie ergreifend.

Peter Claus

Vergiss mein nicht, von David Sieveking (Deutschland 2012)

Bilder: Farbfilm Verleih