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In einem Interview, in dem sie 2008 neben vielem anderen nach Spielfilmen gefragt wurde, die sie beeindruckt hätten, sagte Regisseurin Caroline Link: „Ein Film, der mich in letzter Zeit tief berührt hat, war ‚Babel‘. Vor allem die Episode über das Ehepaar in Marokko, das auseinanderdriftet. Diese Art Liebesgeschichten interessieren mich.“ Zum generellen Thema seines 2006 herausgekommenen Spielfilms „Babel“ äußerte wiederum Regisseur Alejandro González Iñárritu anlässlich des Filmfestivals von Cannes im Jahr 2006: „Ich versuchte zu zeigen, was mit uns momentan passiert. Wir sehen den ‚anderen‘ immer als abstrakt, so dass anderssein heißt, gefährlich und nicht fähig zu sein, den anderen zu verstehen. Dies geschieht nicht nur von Land zu Land, sondern zwischen Vätern, Söhnen, Ehemännern … Wir sind nicht mehr in der Lage, zuzuhören.“ Und genau darüber denkt Caroline Link nun in ihrem – in Marokko gedrehten! – neuen Spielfilm nach. Sie schickt Vater und Sohn unter die glühende Sonne Nordafrikas. Dort lässt sie die Beiden nach den Schatten ihrer (Nicht-)Beziehung suchen. Das Ergebnis der Suche: ungewiss…

Die einen mögen Links Filme, die anderen nicht. Selten gibt es laue Reaktionen. Das spricht für die Werke dieser Frau, denen Deutschland eine seiner wenigen „Oscar“-Ehrungen (2003 für „Nirgendwo in Afrika“) verdankt. Auch ihr bisher jüngster Spielfilm regt einen entweder (im positiven Sinn) auf oder lässt einen völlig kalt. Link umkreist das Thema „Kommunikation“, wie schon angedeutet, anhand einer Vater-Sohn-Konstellation: Heinrich (Ulrich Tukur), ein Kerl in den selbsternannt „besten Jahren“, ist ein eitler Theaterregisseur, der gerade in Marokko arbeitet. Sein 17-jähriger Sohn Ben (Samuel Schneider), ein junger Mann mit künstlerischem Talent, kommt seinem Vater, den er schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hat, nur in einem sehr nah: auch er ist ein Egomane. Ihm allerdings fehlt die Gelassenheit des Alters. Der Vater weiß längst, dass er gut ohne eine enge Bindung exit_320an seinen Sprössling leben kann. Der Sohn ahnt, dass es ihm umgekehrt genauso geht. Doch er will das Sich-Einrichten in dem, wie es ist, ohne dieses „Wie“ kritisch in Frage zu stellen, (noch) nicht akzeptieren. Klar, dass es zum Clinch kommt.

Natürlich nutzt Caroline Link den Gegensatz der Weite Marokkos und der Enge der Herzen für Wirkung aus, insbesondere für die visuelle Gestaltung. Die tollen Bilder ihrer Kamerafrau Bella Halben rechtfertigen das nicht nur, sie lassen dies als zwangsläufig erscheinen. Zweifelhaft sind da jedoch einige Ausrutscher ins Oberflächlich-Pittoreske, wenn die Szenen ländlich-ärmlichen Lebens in Marokko allzu idyllisch geraten. Hier kann man natürlich entschuldigend sagen, dies sei eben der Blick von Touristen (die Heinrich und Ben nun einmal auch sind). Es wäre jedoch das gewisse etwas Mehr gewesen, wenn Regisseurin und Kamerafrau da ein, zwei Brüche eingebaut und den Touristenblick kommentiert hätten. Sie haben das nicht getan. Das beschädigt den Film zum Glück nicht. Denn dies ist kein Versuch, die soziale Realität Marokkos zu spiegeln. Dies ist ein Film, der zwei Menschen in eine ihnen extrem fremde Kultur schickt, um sie die eigene Kulturlosigkeit vielleicht wenigstens ahnen zu lassen.

Link kommt weitestgehend mit erfreulich knappen Dialogen aus. Nur einige wenige Male hätte man sich noch mehr Verzicht aufs Reden gewünscht. Die Gesichter der Hauptdarsteller, ihre Körpersprache, die oft überaus geglückten Bilder davon, erzählen meist genug. Auch einige dramatische Zutaten (ein Unfall, Ben ist Diabetiker) sind unnötig. Doch all das beschwert den Fluss der Erzählung nicht zu sehr. Man bleibt dran. Die Geschichte des Miteinander-Wollens und kaum -Könnens fesselt, weil man als Betrachter keine Noten vergeben kann. Jeder hat Recht und ist im Unrecht. Das macht’s ungemein spannend.

Eine Szene ist schlichtweg grandios: Vater und Sohn streiten, aus dem Wortgefecht wird eine Rangelei. Beide sind voller Wut, und beide sind genau in diesem Moment gemeinsam (!) glücklich. Da braucht’s denn keine großen Worte mehr. Aber für so eine Szene braucht es exzellente Schauspieler. Link hat sie und hat sie großartig geführt. Beide, Tukur und Schneider, legen Szene für Szene, Schicht für Schicht, das Innere der von ihnen gestalteten Charaktere bloß. Das geschieht meist überaus behutsam – und fährt einem als Zuschauer genau darum wirklich unter die Haut.

Peter Claus

Exit Marrakech, von Caroline Link (Deutschland/ Frankreich 2013)

Bilder: Studiocanal