melodie der liebe 680

 

Was für ein sträflich-bescheuerter deutscher Verleihtitel! Da wird der Film direkt in die Ecke „Kitsch“ gedrängt. Und das hat er, allen Einwänden zum Trotz, nicht verdient.

Das Melodram basiert auf dem posthum veröffentlichten Romanfragment von Irène Némirovsky, die 1942 von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde. Das Manuskript tauchte Mitte der 1990er Jahre in der Öffentlichkeit auf, 2004 ging das Buch um die Welt. Nun also der Film. Ein Meistwerk ist nicht zu bestaunen. Erzählt wird von der noch recht jungen Lucille (Michelle Williams). 1940 lebt sie in der Villa ihrer Schwiegermutter (Kristin Scott Thomas) vor den Toren von Paris. Lucilles Mann Gaston ist als Soldat im Krieg. Eines Tages werden die Frauen gezwungen, einem deutschen Offizier Quartier zu geben: Bruno von Falk (Matthias Schoenaerts). Die Ladies haben Glück. Er ist ein Gentleman. Und er ist ein Kerl von einem Mann. Lucille verliebt sich in ihn. Was, ganz klar, nicht ohne Folgen bleiben kann.

Leider hat das Drehbuch zu viele Ecken und Kanten, besonders was das Beschwören der erotischen Leidenschaften angeht. Das alles ist zu oberflächlich angelegt. Da hilft es auch nicht, dass Lucille mehrfach aus dem Off die Gewalt der Gefühle beschwört. Dabei haben Michelle Williams und Matthias Schoenaerts eine große Präsenz. Doch die besten Schauspieler können aus Pappfiguren keine Menschen schaffen.

Immerhin überzeugt die Nebenhandlung um den Bauern Benoît (Sam Riley). Der muss sich, weil nicht bereit, sich den deutschen Besatzern zu beugen, verstecken. Lucille hilft ihm. Riley gelingt es mit seiner Präsenz, der Figur eine erstaunliche Tiefe zu geben. Drumherum: tolle Akteure: Kristin Scott Thomas, Alexandra Maria Lara, Tom Schilling, Lambert Wilson, Heino Ferch beispielsweise. Sie alle haben ihre Momente. Ihre Leistungen und die elegante Fotografie von Kameramann Eduard Grau werten den Film auf. Drehbuch und Inszenierung können aber nicht mithalten. Leider. Dennoch: Der Film versinkt nicht in Bedeutungslosigkeit. Denn wie konstruiert die gegenüber dem Buch arg verkürzte Geschichte auch anmutet, wie schematisch einige Figuren wirken, es stellt sich doch beim Besucher eins ein: ein Nachdenken darüber, wie schnell man selbst Gefahr laufen kann, sich unmenschlich zu verhalten, wenn es um Andere geht, um Fremde, um angebliche oder wirkliche Feinde. Da ist die alte Geschichte beklemmend aktuell. Die Süße der Erzählung macht den Film leicht verdaulich. Aber sie sorgt vielleicht dafür, dass ein paar Leute, die es dringend nötig haben, anfangen über sich selbst nachzudenken.

Suite Française – Melodie der Liebe, von Saul Dibb   (Großbritannien/Frankreich/Belgien/Kanada 2015)

Peter Claus

Bilder: Universum