Die Redefreiheit ist in vielen Staaten Europas ein selbstverständliches Gut. Schauen wir uns in der Welt um, gibt es jedoch unzählige Länder, in denen das ganz anders ist. Und mit der Globalisierung steht die Frage im Raum, ob dieses Gut bei uns tatsächlich ein gesichertes ist.

2011 hat der damals fünfzehnjährige Engländer Tarquin Ramsay begonnen, sich mit der Bedeutung der Redefreiheit auseinanderzusetzen. Daraus ist in fünfjähriger Arbeit dieser Dokumentarfilm geworden. Geboten wird eine Materialsammlung: Gedanken rund ums Thema Redefreiheit, um deren möglich und schließlich tatsächliche Gefährdung. Tarquin Ramsey stellt grundsätzliche Fragen und macht gern grundsätzliche Feststellungen, durchaus voller Pathos. Da heißt es etwa: „Freie Rede ist eine Waffe für das Gute! Freie Rede sorgt dafür, dass die Menschenrechte respektiert werden. Es ist die Freie Rede, die uns in Freiheit leben lässt.“

Auf sehr direkte, mal auch naive Art lässt Tarquin Ramsey seiner jugendlichen Neugier freien Lauf. Er befragt Prominente – darunter am bekanntesten der Schauspieler Jude Law und Julian Assange von der Enthüllungsplattform WikiLeaks – und lässt auch weniger Prominente zu Wort kommen, etwa Journalisten, Philosophen, Computerexperten, Mitschüler, Lehrer, Passanten.

Das ist in der Fülle wild, wirkt zunächst ungeordnet, bis dann am Ende mehr und mehr die Suche nach wirklichen Gefahren intensiviert wird, wenn zum Beispiel gezeigt wird, wie in Weißrussland die Meinungsfreiheit mit Staatsgewalt unterdrückt wird, wie John Kirikou, jener Ex-CIA-Mitarbeiter, der die geheimen Folterprogramme der USA öffentlich gemacht hat, nach Verbüßung seiner Haft rund um die Uhr überwacht wird.

Es ist wahrlich eine Flut an Statements, Meinungen, Informationen. Man sieht viele redende Köpfe. Aufgelockert wird das mit verschiedenen Bildern aus und zu Performances, etwa Tanz, Theater, Straßenkunst und mit Alltagsszenen, auch Beobachtungen von den Dreharbeiten.

Zunächst geht das kaum über ein emotionsreiches Bekenntnis zur Redefreiheit an sich hinaus. Es werden vor allem Ängste genannt, es wird ein recht allgemeines Unbehagen artikuliert, Unbehagen ob der Unüberschaubarkeit der Welt, insbesondere der Datenwelt, Unbehagen auch ob der zu beobachtenden Zunahme an Kontrolle des Einzelnen durch Institutionen und Regierungen.

Die Jugendlichkeit des Filmemachers Tarquin Ramsay hat vor allem Regie geführt. Das ist Vorzug und Nachteil zugleich. Nachteil: es hat ihm im Banne der Fülle an Aufnahmen wohl etwas der Überblick gefehlt, es mangelt an Ordnung. Dabei ist sympathisch, dass er das auch thematisiert, eingesteht. Und ich meine: der Vorteil wiegt das auf. Der Vorteil ist: man bekommt sehr viele Informationen und wird auch emotional angesprochen. Man beginnt als Zuschauer selbst Fragen zu stellen – und beginnt damit die eigene Suche nach Erkenntnissen. Da werden wegen der Fülle des Materials viele Wege erkennbar

Für mich sind zwei Gedanken besonders spannend. Einmal der einer Lehrerin, die das Schulsystem beleuchtet, die es als großen Fehler ansieht, dass in den so genannten westlichen Industriestaaten Wissen und Emotionen in der Schule getrennt werden.

Und dann dieser Gedanke: wir alle sind betroffen, allein dadurch, dass wir zum Beispiel Verträge eingehen, mit Banken etwa, mit Computer- und Telefonhändlern – denn die geben in der Regel unsere Daten weiter – machen uns, die Kunden der Wirtschaft, zur Ware, mit der Profit erzielt wird – durch Weitergabe unserer Daten, durch Werbung, dadurch, dass jeder Einkauf, und sei’s lediglich im Supermarkt um die Ecke, verfolgt wird. Beunruhigend.

Peter Claus

Bilder: © Real Fiction Filmverleih

Free Speech Fear Free, von Tarquin Ramsay (Großbritannien / Deutschland 2016)