Das Beste kommt zum Schluss, ganz zum Schluss, im Abspann: Michelle Pfeiffer singt. Es lohnt sich, das Kino erst danach zu verlassen.

Bis zum Finale nach dem Ende der Geschichte braucht man allerdings einiges an Durchhaltevermögen. Das Star-Vehikel tuckert arg kraft- und saftlos als Bummelzug dahin. Was schon allein daran liegt, dass die Stories von Agatha Christie heutigen Tags doch arg altbacken anmuten. Moderne Krimis setzen auf Härte, Schockeffekte, gar Brutalität. Christie auf Köpfchen – und Humor. Der beschert etwa den „Miss Marple“-Filmen aus den 1960er Jahren immer wieder große Zuschauerrunden vor den Fernsehgeräten. Leider hat Kenneth Branagh nicht den Nerv für Witz, wie er der „Miss Marple“-Interpretin Margaret Rutherford eigen war. Sie bot kecke Kurzweil. Bei Branagh fühllen sich die zwei Stunden Krimizeit wie drei Wagner-Opern an …

Klar. Zu schulden ist das auch der Bekanntheit der literarischen Vorlage. Man weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt. Zudem ist einem die von Sidney Lumet inszenierte Kino-Adaption des Krimis aus dem Jahr 1974 bekannt. Da die Erben der Queen of Crime penibel darüber wachen, dass bei Neuauflagen der Bücher, bei Theateradaptionen oder Kinoversionen keine radikalen Veränderungen gegenüber dem Original vorgenommen werden, hat es eine Verfilmung sowieso schwer. Immerhin: Drehbuchautor Michael Green („Blade Runner 2049“) und Regisseur Kenneth Branagh („Cinderella“) haben ein paar Neuigkeiten zu bieten: da gibt es einen in Jerusalem spielenden Prolog, etwa Action darf aufscheinen, der Charakter der Hauptperson, des Detektivs Hercule Poirot (Kenneth Branagh), wird ein wenig genauer beleuchtet. Zudem hat jetzt eine der Figuren schwarze Hautfarbe. Das gibt Gelegenheit für ein paar Seitenhiebe wider Rassismus und Intoleranz. Und schon ist man verstimmt. Denn diese „gesellschaftskritischen Aspekte“ wirken völlig aufgesetzt und oberflächlich.

Die Story im Kern ist die bekannte: 1934 geschieht ein Mord im „Orient-Express“. Zufälligerweise ist der belgische Meisterschnüffler Hercule Poirot unter den Passagieren. Ein Whodunit traditionellen Strickmusters läuft ab. Zum Finale serviert die Spürnase mit dem enormen Schnurrbart die Lösung des tödlichen Rätsels.

Schon 1974 war der Look des Films das Entscheidende, geprägt von den Auftritten großer Stars wie zum Beispiel Ingrid Bergman, Lauren Bacall, Sean Connery, Albert Finney, Jacqueline Bisset, Wendy Hiller. Das war hübsch glamourös und schön beschaulich. Mehr war es schon damals nicht. Was Kenneth Branagh angetrieben hat, den Roman nochmals für die Leinwand zu übersetzen, ist rätselhaft. Nach Ansehen des Films drängt sich der Verdacht auf, er habe unbedingt diese Rolle in diesem Filme mit diesen Nebendarstellern haben wollen. Kenneth als Sonnenkönig sozusagen. Ein Verdacht!

Ja, die Eleganz der Bilder ist faszinierend: Ansichten aus der Vogelperspektive, weite Blicke über Landschaften und Stadtsilhouetten, wie beispielsweise Jerusalem, und immer wieder der dahin düsende Zug mit der Dampflokomotive. Très chic. Gedreht wurde übrigens mit einer 65-mm-Kamera. So kann der Film in ausgewählten Kinos mit entsprechender Technik jene Opulenz entfalten, mit der einst Monumentalschinken wie „Doktor Schiwago“ oder „Lawrence von Arabien“ die Massen angelockt haben. Wobei die Wirkung dadurch eingeschränkt wird, dass viele, viele malerische Aufnahmen sehr nach Bits und Bytes aussehen. Die Bergmassive und Häuserschluchten muten durchgängig künstlich an. Dem sich Kenneth Branagh mit Verve angepasst hat. Agatha Christie hat Hercule Poirot mit einem kraftvollen Ego ausgestattet. Und sie hat das gern ironisiert. Branagh tut genau das nicht. Er zeigt nichts als Ego. Hercule Poirot ist bei ihm ein nervend-eitler Fatzke. Schade dass Regisseur Branagh Hauptdarsteller Branagh nicht gebremst hat. Der erscheint einem nämlich durchweg so, als agiere er immer mit einem Blick in einen riesigen Spiegel, dem er grad die Frage gestellt hat, wer denn wohl der Schönste im ganzen Land sei …

Neben Branagh führen die versammelten Stars ein mickriges Schattendasein. Und es sind Stars! Michelle Pfeiffer, Judi Dench und Penélope Cruz, Willem Dafoe, Johnny Depp, Derek Jacobi und einige mehr treten auf, alles Leute mit großen Namen und ebensolchem Können. Das in ihren Kurzauftritt kaum gebraucht wird. Nur Michelle Pfeiffer in der Rolle der verwitweten Caroline Hubbard schafft es, ein wenig herauszustechen. Das verdankt sie ihrer erotisch flirrenden Erscheinung und ihrer Präsenz. Sie kann’s einfach. Und sie braucht für Wirkung nicht die parfümierte Exaltiertheit des Hauptdarstellers.

Exzellent ebenfalls: Haris Zambarloukos’ Kameraführung. Er hat originelle Einfälle, die sich jedoch nie verselbständigen. Die wirklich kleinen Spielräume in den Zugabteilen, -gängen und -kabinen nutzt er für Tableaus voller visueller Eleganz. Gern fotografiert er auch mal aus einer überraschenden Perspektive, so jene Szene, in der die Leiche von Edward Ratchett (Johnny Depp) untersucht wird: Zambarloukos hat das von der Decke aus fotografiert. Das sieht klasse aus, verscheucht die Langeweile aber nur kurz. Man sehnt sich nach dem Ende. Das einem dann immerhin von Michelle Pfeiffer versüßt wird.

Peter Claus

Bilder: © Twentieth Century Fox Germany | Mord im Orient Express (2017) von Kenneth Branagh

Mord im Orient-Express, von Kenneth Branagh   (USA / Großbritannien 2017)