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Kämpf, Katniss, kämpf!

«The Hunger Games: Catching Fire» bietet aufregendes Action-Kino, Einblicke in die Mechanik einer Mediendiktatur – und Jennifer Lawrence.

Die 23-jährige Jennifer Lawrence kann ihren Erfolg im Moment gar nicht mehr steigern. 2012 sprengte sie als starke, sture Katniss Everdeen im ersten Teil der «Hunger Games» alle Popularitätsrekorde, Anfang 2013 gewann sie noch schnell einen Oscar für «Silver Linings Playbook», und jetzt kommt sie schon wieder mit «The Hunger Games: Catching Fire» in die Kinos.

Dieser zweite Film nach der «Hunger Games»-Trilogie von Suzanne Collins ist nun seinerseits dermaßen gut, dass es fast keine Worte dafür gibt. Versuchen wir es trotzdem: Teil eins zeigte ein wüstes Land, dort, wo einst Nordamerika lag, aufgeteilt in zwölf Distrikte, und aus jedem Distrikt werden jedes Jahr jeweils zwei Jugendliche für eine TV-Sendung gecastet. Panem heisst der dekadente Staat, der diese Spiele anordnet, Panem wie aus dem römischen «panem et circenses» aus «Brot und Spiele» also, die Jugendlichen werden in einer riesigen Arena ausgesetzt, es gewinnt, wer alle anderen überlebt. Das Volk sieht zu. Und Katniss, die nur mit Pfeil und Bogen ein hochtechnologisches System besiegt hat, schafft es, dieses zu überlisten und ihren Freund Peeta (Josh Hutcherson) mit sich zu retten, indem sie vor laufender Kamera mit Doppelselbstmord droht.

Wie schwer wiegen Tote?

Damit sind wir im zweiten Teil, und Katniss hat Riesenärger, denn einerseits soll sie als Siegerin der Hunger Games nun das Maskottchen eines diktatorischen Systems sein, andererseits wird sie von den geknechteten Distrikten als Symbolträgerin der Revolte betrachtet. Was sie im Herzen auch ist. Und weshalb sie zur Strafe erneut in die Arena geschickt wird. Und erneut mit ihrem früheren Mitstreiter, dem Bäckerssohn Peeta, einem wahren Mädchen von einem Mann, zart, sensibel, aber mit dem perfekten Tele-Gen für grosse Tränendrüsen-Momente. Zusammen mit 22 anderen ehemaligen Gewinnern werden sie in einem Dschungel ausgesetzt, es gibt dort giftige Nebel, Stromstöße, Monsteraffen, eine Uhr des Grauens, psychoterroristische Vögel – der Schrecken kennt keine Grenzen, die Fantasie, mit der diese zu bewältigen sind, zum Glück auch nicht, spielend trägt einen die Spannung über zweieinhalb Stunden hinweg.

So entspinnt sich nun entlang einer spektakulär inszenierten Abenteuer-Action-Geschichte eine ganze Reihe von Fragen, die man jungen Kinogängern gern mit auf den Weg gibt. Wie viel Herrschaft erträgt ein Mensch? Wie viele Opfer braucht die Revolution? Wie viel Druck erträgt man, bevor man seine Ideale verrät? Wie schwer wiegen Tote? Und wie grausam ist die Macht der Medien wirklich?

Denn Panem ist ein Medienstaat, der seine Monumental-Propaganda ganz exakt zu dosieren und zu emotionalisieren weiß. Es ist der neue Game-Maker Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman), der dem Präsidenten von Panem (Donald Sutherland) zu einer eiskalten Dramaturgie der Aufwiegelung rät, allerdings einer Aufwiegelung gegen Katniss, gegen die mögliche Revolutionsführerin also. Mit wenigen Sätzen vermag er die manipulative Mechanik von Macht und Medien so klar zu skizzieren, dass man sich Jahre der Lektüre hätte sparen können. Und natürlich ist es ein genialer Einfall, Hoffman die Rolle eines hyperintelligenten Spielleiters zu geben. Er darf da sein, was er auf der Leinwand immer am besten ist: ein souveräner Zyniker.

Popikone der Coolness

Und Jennifer Lawrence? Wer «The Hunger Games» kennt – und das werden wohl sämtliche Teenager sein, die den Film in den nächsten Tagen stürmen –, weiß, dass in Teil drei die totale Dystopie auf Katniss wartet, dass ihre Seele zerrüttet und ihr Feuer erloschen sein wird. Zermalmt und ausgespien von einer Unterhaltungsmaschine, die doch nur das Blendwerk einer Kriegsmaschinerie ist. In «The Hunger Games: Catching Fire» beginnt diese innere Zerstörung einer Popikone der Coolness. Jennifer Lawrence gibt diesem Zusammenbruch unendlich viele subtile Facetten. Und auch wenn sie wehtun: Den Blick von ihr abwenden kann man nicht.

 

Simone Meier, Tagesanzeiger.ch 19.11.2013

Bild: © Studiocanal