Die neue Rekonstruktion im Sprengel Museum Hannover

Der avantgardistischen Utopie, die Formen abstrakter Kunst mit den Ansprüchen modernen Lebens in Verbindung zu setzen, folgte El Lissitzky (1890-1941) immer wieder. Dies fasste er bewusst breit gefächert an, so blieb er nicht ausschließlich in der Malerei, sondern war parallel auch in den Bereichen Architektur, Photographie und Typographie tätig.

Seit 1922 fühlte sich Lissitzky Hannover verbunden. In der niedersächsischen Stadt fand er bei Kuratoren und Sammlern eine recht große Anerkennung und dort lernte er auch seine spätere Frau Sophie Küppers (1891-1978), die Witwe von Paul Erich Küppers (1889-1922), dem ersten Direktor der Kestnergesellschaft Hannover, kennen.

Im Auftrag des Direktors der Landesgalerie im Provinzial-Museum Hannover, Alexander Dorner (1893-1957), entwarf El Lissitzky 1926 einen „Demonstrationsraum“ für zeitgenössische Kunst. Dafür entwickelte er eine neuartige, völlig ungewöhnliche Form, Kunst zu präsentieren.

Er selbst verglich diesen Demonstrationsraum mit einem „Schaukasten“ oder einer „Bühne“, auf der jedes Werk zu seinem eigenen Recht und zur besten Geltung kommen sollte. Das moderne Ausstellungsdisplay mit Lamellenwänden und beweglichen Elementen wollte ganz bewusst eine Aktivierung des Besuchers.

So sollte der Aufbau „keine private Salondekoration sein“, sondern einen „Standard aufstellen für Räume, in denen der Allgemeinheit neue Kunst gezeigt wird.“ Darin ausgestellt waren abstrakte Werke von Kubisten und Konstruktivisten, wie etwa von Fernand Léger, Piet Mondrian, El Lissitzky und Friedrich Vordemberge-Gildewart.

Das fertige „Kabinett der Abstrakten“ errang recht bald Weltruhm, schließlich war ein derartiger Raum „absolut singulär in der nationalen wie internationalen Museumslandschaft – ausschließlich der Moderne von den Expressionisten bis zu den Abstrakten gewidmet.“ Nach Alfred Barr (1902-1981), dem späteren Gründungsdirektor des Museum of Modern Art in New York, war das Kabinett „wahrscheinlich der bedeutendste Einzelraum der Kunst des 20. Jahrhunderts.“

Leider wurde 1937 der Originalraum während der sogenannten „Aktion Entartete Kunst“ durch die Nationalsozialisten zerstört.

Die Besonderheit geriet in Vergessenheit. Erst 1968 wurde auf Initiative von Lydia Dorner, der Witwe Alexander Dorners, vom Niedersächsischen Landesmuseum, dem Nachfolger des Provinzial-Museums Hannover, ein Wiederaufbau des „Kabinett der Abstrakten“ gewagt. Diese Rekonstruktion zog dann 1979 mit der Eröffnung des Sprengel Museums ins dortige Kellergeschoss.

Über die Jahre immer weniger funktionstüchtig, diente es bis 2016 als Ersatz für ein kunsthistorisch wichtiges, aber verlorenen gegangen Original. „Als Gedächtnisort und ‚Alleinstellungsmerkmal‘ des Hauses erschien eine Rekonstruktion weiterhin unverzichtbar, ermöglicht der Raum doch ein unmittelbares Erleben künstlerischer Utopien der internationalen Avantgarde in Hannover in den 1920er-Jahren, auch wenn eine moderne Kopie immer das Risiko einer gewissen Verfälschung der historischen Wahrheit birgt.“ (Sprengel Museum)

In Kooperation und mit Unterstützung von „Expomondo by Holtmann“, einem Betrieb aus Hannover-Langenhagen, der auf Messebau spezialisiert ist, hat das Sprengel Museum Hannover jetzt eine neue Rekonstruktion des „Kabinett der Abstrakten“ errichtet.

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Rekonstruktion von El Lissitzkys Kabinett der Abstrakten aus dem Jahr 1927, 2016/17 im Sprengel Museum Hannover Foto: Herling / Herling / Werner, Sprengel Museum Hannover

Der neue Nachbau ist seit dem 17. Februar 2017 am bisherigen Ort wieder dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich. Dabei wurde versucht, so präzise wie möglich das ursprüngliche Kabinett in seiner architektonischen Beschaffenheit, der Farbigkeit und Beleuchtung zu rekonstruieren.

So gibt es nun – statt bisher nur einer Tür – wieder zwei Zugänge, einen schwarzen Linoleumboden, statt eines hellgrauen Teppichbodens, eine Decke und Fensterverkleidung aus Nesselstoff, statt eines Kunststoff-Gitters und eines Plexiglas-Kubus, sowie eine zusätzlich rote, statt einer bisher ausschließlich schwarz-weiß-grauen, Bemalung der Rahmenleisten. Was dem gezeichnete Entwurf von 1926 entspricht und die Gesamtwirkung stark erhöht. Insgesamt kann man daher allen Beteiligten zu ihrem Ergebnis gratulieren.

Hans-Jürgen Tast

Bild ganz oben: El Lissitzky | Entwurf zum Kabinett der Abstrakten (Blick A / Blick B), 1926, Gouache und Collage auf Karton | Sprengel Museum Hannover, Leihgabe Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover | Fotograf: Herling / Gwose, Sprengel Museum Hannover – gemeinfrei