Düsterer Kulturpessimismus und Verzicht auf Empirie. In seinem neuen Buch beklagt der Berliner Philosoph Byung-Chul Han „die Austreibung des Anderen“ und Gleichheitswahn.

Angst und Entsetzen? Was werden sich die beiden Polizistinnen im belgischen Charleroi Anfang August vergangenen Jahres wohl gedacht haben, als ein junger Algerier in ihrer Polizeiwache plötzlich eine Machete aus dem Rucksack zog und auf sie einstach? Verspürten sie Furcht? Oder freuten sie sich, dass ihnen endlich ein Antipode gegenübertrat?

Das Beispiel ist natürlich manipulativ gewählt. Es zeigt aber, auf welch schiefe Ebene Byung-Chul Han gerät, wenn er „Die Austreibung des Anderen“ aus unserer Gesellschaft beklagt. Denn den Tatbestand der „Negativität des Risses und des Schmerzes“, den er in unserer Gesellschaft vermisst, erfüllt der Algerier mit seiner schrecklichen Tat ja durchaus.

Neben Slavoi Žižek oder Markus Gabriel ist der 1959 geborene Han einer der Philosophen der Stunde. Setzen die beiden auf philosophische Globalentwürfe, gefällt sich der gelernte Metallurg, der später auf Philosophie umsattelte und nach Stationen in Basel und Karlsruhe seit 2012 an der Berliner Universität der Künste lehrt, auf kulturkritische Miniaturen.

Sein Stern ging auf, als er vor sechs Jahren in einem schmalen Bändchen die „Müdigkeitsgesellschaft“ diagnostizierte. Nach der Kritik der „Transparenzgesellschaft“ (2012) und der „Psychopolitik des Neoliberalismus“ (2015) plädierte er vergangenes Jahr für die „Errettung des Schönen“.

In seinem neuen Buch will er auf eine besonders perfide Form der kulturellen Nivellierung hinaus. Für Han gleicht unsere zeitgenössische Gesellschaft nämlich der „Hölle der Positivität“. Der ist der „Bezug zum Konflikt“ verloren gegangen. Statt Widerspruch und Auseinandersetzung herrsche in ihr nur noch die „Positivität des Gleichen“.

Kennzeichnend für Hans „Beweisführung“ ist das Fehlen jeder Empirie. Stattdessen gefällt er sich in einer Rhetorik des Elementaren: „Die lärmende Müdigkeitsgesellschaft ist taub“ stellt er einmal lapidar fest. Oder: „Die Austreibung des Anderen bringt eine adipöse Leere der Fülle hervor“. Je länger man liest, desto mehr entpuppt sich diese Sozialphilosophie als prätentiöse Ontologie. Aber für Han ist Erkenntnis ja auch „Erlösung“.

Gegenbeispiele für die eigenen Thesen zieht der Philosoph grundsätzlich nicht heran. Komaglotzen, Like-Button, Social Media – alles ist für ihn die gleiche „Hölle des Gleichen“, die „Verletzung und Erschütterung“ ablehnt. Von Streiks, Terminen im Jobcenter oder Beziehungskrächen scheint der Philosoph noch nichts gehört zu haben.

Kein Wunder, dass diese Gesellschaftsanalyse in düsterem Kulturpessimismus endet: „Der Terror des Gleichen“, lässt er die Lesenden bereits auf Seite neun wissen, „erfasst heute alle Lebensbereiche“.

Nicht, dass Hans Diagnose von der „entpersonalisierten Kommunikation“ ganz falsch wäre. „Der Mörder ist der letzte Mensch, der noch Kontakt sucht, während der Rest der Menschheit an Rolltreppen aneinander vorbeifährt“ kommentierte Heiner Müller schon 1991 sarkastisch die „Entwirklichung der Wirklichkeit“ im technologischen Zeitalter. Doch man muss seiner Argumentation schon sehr unsicher sein, wenn man sie mit einer kafkaesken Horrorvision glaubt belegen zu müssen, von der auch ein Nichtphilosoph erkennen kann, dass sie mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.

Han „Erfolgsrezept“ ist eine seltsame Mixtur aus Antikapitalismus und Idealismus. Den Neoliberalismus, der diese „neue Entfremdung“ verursacht, will er mit kulturellen Tugenden überwinden: Der „Kunst des Zuhörens“, der „Zeit des Anderen“, mit „Geduld und Ausgesetztheit“.

Doch wenn Han auf eine Philosophie der Intersubjektivität, eine somatische Ethik oder eine neue Form sozialer Gegenseitigkeit hinaus will, warum mystifiziert er dann das „Andere“ zu einem diffusen Zwitter?

Ein ums andere Mal beschwört Han den Anderen als „Rätsel“ und ganz großes „Geheimnis“. Mal ist er das „Unheimliche“ schlechthin, mal „personales Gegenüber“. Mal realisiert er sich in „Blick und Stimme“, mal ist er „Resonanzraum“. Mit seiner Dialektik von „Du und Ich“ war der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber da schon mal weiter.

Vor allem: Würde ein „Gegenkörper der Negativität“ wirklich empfänglich machen „für die Wahrheit, für das Ereignis“, kurz: für reale Realität und dialektisches Sein? Als der französische Philosoph Jacques Derrida, so erzählte es einmal Slavoj Žižek, morgens ins Bad geht und im Blick der Katze, die seinen nackten Körper betrachtet, den Anderen „in seiner ganzen abgrundhaften Undurchdringlichkeit“ zu erkennen meint, jagt er das Tier hinaus und geht duschen.

Ingo Arend

taz vom 13.1.2017

Bild ganz oben: Disputierende Mönche (Ausschnitt) etwa 1858 / 1860 |  von Carl Spitzweg

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Cover S. Fischer

Byung-Chul Han:

Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute.

S. Fischer, Frankfurt am Main 2016

110 Seiten

20,00 Euro