Begegnung mit „Matisse – Maidens“ von William Anthony auf der Art Cologne 2015

Am richtigen Platz

Auf drei Ebenen verdichtet ist in der dritten Etage der Art Cologne 2015 das Eis fest, aber dünn – unter den ,jungen‘ Galerien der ,jungen‘ (Gegenwarts-)Kunst hilft traditionsgemäß in erster Linie Coolness durch die Bonmots und vertrauten Größen und über empfundene Mängel hinwegzukommen. Alle sind leicht überdreht und erwartungsvoll in der Vorfreude auf den Jahrmarkt, auf Beglückungen guter Werke und schlechte Taten, das Sachinteresse „Kunst“ ist gewürzt und durchtränkt mit Verlegenheiten, erbitterter Konkurrenz, Huldigungen, Verachtung und durchläuft Stadien von Ernüchterung, Ermüdung, Enttäuschung. Es erfolgen Zusammenstöße mit Erwarteten und Unerwarteten, Bildern wie Menschen. Im günstigen Fall frohe Begrüßungen und stimmige Wahlen: dies gefällt, jenes nicht, Systeme des Abschreitens werden begonnen, verworfen, neu aufgenommen, einzelne Kojen erwartungsfroh geentert, andere misstrauisch gestreift oder ,übersehen‘ – drüber hinwegsehen, sich ein schwebendes Bild machen, sich freischwebend ein Bild machen. Erhebende Momente, wenn von einem geschätzten Künstler etwas nie Gesehenes auftaucht und in den Bann zieht. Die Basis der klassischen Moderne und der etablierten ,Zeitgenossen‘ hilft immer wieder auf die Beine, wenn Ermüdung und Genervtheit drohen. Allerdings hat die dritte Etage in Nachfolge einer früheren „Halle Fünf“ – ehedem first flush der Ernte ,junger Kunst‘ –, späterer ,open spaces‘ und anderer Versuche – dieses Netz und diesen doppelten Boden bisweilen nicht.

Dann aber mittendrin im Sehen und Geschehen in der dritten Etage: Bilder in moderaten und kleinen Formaten, unter denen mich das eine gefangen nimmt: Ungelenke Leiber mit fliegenden kleinen Brüstchen scheinen zu kegeln bzw. von einer unsichtbaren Kugel gekegelt zu werden. Zwar ist das unverkennbar der Tanz von Matisse, aber es ist ihm etwas zugestoßen. Keine sich in geschwungenen Linien schließende Kette farbiger Frauengestalten, von denen eine vordere ein wenig mitgeschleift zu werden scheint, damals als „primitivistisch“ und „fauvistisch“ etikettiert, deren Vorfahren in Sachen Farbigkeit im Frühjahr 2015 gerade bei Emile Bernard in Bremen zu sehen waren. Also hier, in der dritten Etage der Art Cologne, ein offensichtlicher Matisse von anderer Hand, dessen Reigen aus wiederum fünf weiblichen Figuren sich in Rennen, Zappeln und Strampeln auf dürren Füßchen vollzieht, die Augen mit den Brüsten um die Wette schielend. Nicht Freikörperkultur am Bachlauf oder See, sondern wilder Taumel im ungewissen himmlischen oder urbanen Raum. Keine Unschuldsvermutung würde der erhitzten Gerissenheit der kleinen Gestalten gerecht.

Schockierend: nach Jahrzehnten des Messelaufens kenne ich den Künstler nicht. Wie kann das passieren ? Durfte das passieren ? Auch das scheint den ekstatisch getriebenen Damen des Bildes, das mich trotz verlockender Werke des gleichen Meisters in der Koje weiter im Bann hält, gleichgültig zu sein. Ich finde etwas Trost bei den beiden ausstellenden Galerieen Rehbein, Köln, und Stalke, Kopenhagen, die mit Informationen weiterhelfen. Bereits den ,originalen’ Tanzenden von Henri Matisse scheinen Schenkel und Bäuche ,abzuspringen‘, die groteske Fassung von Anthonys „Maidens“ wird als ,Ironic Icon‘ aber neu und anders anbetungswürdig. Es ist pure Freude an dem Zugleich von Tun, Erleben und Deutung der gegebenen Situation, das dieses Bild gerade hier bewerkstelligen kann. Es positioniert sich wie die Deutung zum Erleben: hier scheint aufs Klarste formuliert, was sich beim Besuch der Messe abspielt: Beglückend-sinnfreies, besessenes oder exaltiertes Streben, teures Vergnügen, quälende Dienstbarkeit auf vorgefertigten Pfaden, springlebendig und gehetzt, verfolgt auf der Jagd, aber auf freudig-naiv und frivol.

Hommage an eine Platzierung

„The not-so divine comedy“, der Katalogtext von Jacob Lillemose im Katalog von Sam Jedig zu William Anthony’s „Ironic Icons“ (Dänemark 2013), fasst die Erlebenskonstruktion zum Werk in etwa so: Die Ikonenmalerei christlicher Kirchen des Ostens bildet in ihren bescheidenen Formaten und einfachen Motiven die Referenz für ein Werk, das die Anbetung vom Idealen auf das Banal-Alltägliche richtet, auf Fehlbarkeiten und eitle Torheiten aller Art unübersehbar verrückt. Ausgespart wird in dieser Tragi-Komik wenig, keinesfalls aber die narzisstische Bespiegelung in nihilistisch-coolen Posen eines – gerade im Umgang mit Kunst – sozusagen allgegenwärtigen – Kenner-Typus.

Diese Icons lassen die Vergeblichkeit des Ringens um Geltung und Anerkennung spüren,. Dies tun sie mit den Werken vor allem vieler Zeitgenossen des Künstlers in der Pop-art wie auch solchen von Grenzgängern, die sich vom outlaw zum insider wandelten wie z. B. JeanMichel Basquiat. Es kommen Werke verschiedenster Epochen und Stilrichtungen ins Visier. Herausgebracht wird so in bildhafter Weise ,die andere (unbewusstere) Seite infantiler und abwegiger Begierden‘, was, wie Lillemose vermutet, auch Sigmund Freud die „Arbeit erleichtert“ haben würde.

In der Messesituation kommt die Begegnung mit dem Bild „Matisse – Maidens“ einer Art Deutung der gerade erlebten Situation gleich. Alles Verrenkte und Gehetzte, aber auch Lieben und Treiben des Messe-Marathons treten einem sogleich entgegen. Womit auch wieder bewiesen wäre, dass „Kunst unsere Wirklichkeit behandeln“ kann (nach W. Salber), und es auch dort tut, wo sie sich um den Umgang mit der Kunst dreht – kreist, rast, verrückt –, hier in der Form des jährlichen Marktes. Die Deutlichkeit der Spiegelung berauschenden wie vergeblichen Strebens gewinnt dabei (er-)lösenden Charakter. William Anthony in seiner eigenen Größe weist allerlei formatsprengenden und großartigen Arbeiten souverän einen Platz zu und nimmt dabei auch die tief im Alltag Erneuerung suchende neueste Kunst mit.

Petra M. Runge

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Bild ganz oben: ,Maidens’ William Anthony Courtesy of Thomas Rehbein Galerie, Art Cologne 2015, Künstler William Anthony

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