Ohne Zweifel: „Vincent will Meer“ war ein wundervoller Spielfilm. Keine Abstriche. Aber, wie einst in „Rain Man“ der Autismus arg sanft dargestellt wurde, so geschah es in „Vincent … “ mit dem Tourette-Syndrom. Etwa zeitgleich entwickelt, erst jetzt in die Kinos kommend, ist dieser Spielfilm nun von anderem Kaliber – und auch komödiantisch und märchenhaft.

Das Tourette-Syndrom zeigt sich in ungewollten Zuckungen in Gesicht und Körper und äußert sich in harten Schimpfwörtern. Die 16-jährige Eva (Jasna Fritzi Bauer) hat das Tourette-Syndrom, diese Ansammlung von Ticks. Die Wissenschaft ist ratlos. Warum und wieso es Menschen wie Eva gibt, etwa 2,5 Millionen allein in Deutschland, ist nicht erklärt. Evas Familie lebt damit. Man hat sich eingerichtet. In der Öffentlichkeit jedoch, wenn Eva ungewollt Anstoß erregt, und keiner weiß, wieso, hat das Mädchen so seine Probleme. Die verschweigt Regisseur Andi Rogenhagen in seinem zweiten Kino-Spielfilm nicht. Jasna Fritzi Bauer spielt das mit Mut. Der Regisseur und sie sorgen dafür, dass es nie zu plumpen Witzen kommt. Trotzdem darf viel gelacht werden.

Eva gerät im Verlauf der Handlung in ein düsteres Märchen. Ihre alles Skurrile liebende Oma (Renate Delfs) und ihr nicht immer auf ehrlichen Wegen schleichender Onkel (Stefan Kurt) sind die wichtigsten Bezugspersonen. Mit ihnen und durch sie gerät Eva in einen Strudel von Ereignissen jenseits der Wirklichkeit – um schließlich eine bessere Wirklichkeit schaffen zu können.

Autor und Regisseur Andi Rogenhagen setzt überwiegend auf leisen, verhaltenen Humor. Dabei wird nichts an der Lebenssituation der jungen Frau, die oft noch Kind ist, verniedlicht. So hat der Film durchaus die Chance, neben kluger Unterhaltung auch Aufklärung in bestem Sinne zu bieten.

Peter Claus

Ein Tick anders, Andi Rogenhagen (Deutschland 2010)

Bilder: Farbfilm