Man muss nicht immer alles bloß legen

20 Jahre Festival des osteuropäischen Films – das ist schon eine besondere Leistung. Als das Cottbuser Festival startete, dachte ich, „na ja, zwei, drei Jahre, dann war’s das“. Denkste! Das Geheimnis des Erfolgs: Die Verantwortlichen haben darauf geachtet, dass das Festival über sich selbst hinaus wirkt, Projekte, also Filmproduktionen anschiebt, Kontakte zwischen Autoren und Regisseuren zu Produzenten, Geldgebern, knüpft. „Connecting Cottbus“ heißt das – und funktioniert bestens. In diesem Jahr zum Beispiel laufen gleich drei Spielfilme hier, die auf diese Art und Weise realisiert worden sind.

Markenzeichen von Cottbus daneben – oder davor: das Publikum strömt in Scharen. Der Vorverkauf hat geboomt, es gibt nur noch Restkarten. Die Eröffnung war dementsprechend. Gezeigt wurde „The Woman with a Broken Nose“ eine Tragikomödie aus Serbien – herzhaft und wunderbar in der Mischung von melancholischem und brüllend Komischem. Jubel, Bravo-Rufe und tosender Applaus. Anica Dobra, eine der Hauptdarstellerinnen, bekannt aus zahlreichen deutschen TV-Produktionen, stellte den Film vor – und wurde gefeiert.

Auch einen Weltstar verschlug es in diesem Jahr zum Jubiläumsfestival nach Cottbus: Sylvia Kristel aus den Niederlanden, in den 1970-er und 80-erJahren berühmt geworden als Erotic-Star in den „Emanuelle“-Filmen und „Lady Chatterleys Liebhaber“. Sie präsentiert „Two Sunny Days“, ein Beziehungsdrama, dass Probleme ums Altwerden, Demenz, Alzheimer sensibel thematisiert. Ich habe die nach wie vor bildschöne Sylvia Kristel gefragt, ob sie, nachdem sie einst die Freiheit des Körpers propagiert hat, nun der Freiheit der Seele huldigt. „Ja“, meinte sie, das ist schon so. „Aber“, ergänzte die Künstlerin, „ich zeige nie alles. „Man muss nicht immer alles bloß legen.“

Der Satz taugte glatt als Motto für das Festival. Denn die guten Filmen legen tatsächlich nicht immer „alles bloß“, sondern begeistern mit Sensibilität und Zurückhaltung. Trend offenbar (wie schon im Januar in Saarbrücken beim Festival um den Max Ophüls Preis, bei der Berlinale, in Cannes, Locarno, Venedig): die große Politik wird in „kleinen“ Familiengeschichten gespiegelt, stilistisch dem klassischen Erzählkino verpflichtet. Das bedeutet Gutes für uns, die Zuschauer: Das junge Kino Osteuropas packt, wie das junge Kino von allüberall, mit starken Stories, die von wunderbaren Schauspielern lebensprall dargeboten werden.

Peter Claus


The Woman With A Broken Nose (Zena sa slomljenim nosem)

Regie und Drehbuch: Srdjan Koljevic (Serbien 2010)

Auf einer Brücke in Belgrad steigt eine junge Frau mit einem Baby und einer eben gebrochenen Nase in Gavrilos Taxi. Und steigt unvermittelt wieder aus dem Wagen und springt über das Brückengeländer. Der Selbstmordversuch wird für die drei Zeugen Gavrilo, Anica und Biljana zum existenziellen Katalysator, der sie zur Bilanzierung des bisherigen Lebens zwingt. Gavrilo sieht sich mit der Verantwortung für das Baby konfrontiert, Anica erinnert sich eines schmerzlichen Verlustes, Biljana verlässt unvermittelt ihrem Verlobten. Gavrilo indessen kümmert sich um die Frau, die den Sprung überlebt hat. Zum ersten Mal in seinem Leben erfährt der Misanthrop das Gefühl, für jemanden wichtig zu sein.