Leoparden-Jagd am Lago Maggiore eröffnet
Das 64. Internationale Filmfestival von Locarno begann mit Regen und Gewitter. Die Schutzheilige des malerisch am Schweizer Ufer vom Lago Maggiore gelegenen Touri-Zentrums, die Madonna del Sasso, zeigt sich (mal wieder) ungnädig.
Die Festivalgemeinde ficht das nicht an. Mehr als die unsichere Wetterlage wird der Eröffnungsfilm diskutiert: «Super 8» (USA) von Regisseur J. J. Abrams und Produzent Steven Spielberg. Abrams huldigt seinem Produzenten und dessen Lust an familientauglichen Action-Spektakeln. Die Ende der 1970-er Jahre spielende Geschichte um junge Amateurfilmer und andere Schrecken ist nur so mit Zitaten aus „Der weiße Hai“, „E. T. – Der Außerirdische“ und der Indiana-Jones-Serie gespickt. Ein Spaß für Spielberg-Fans. Aber der richtige Film für ein Festival, das sich seit Jahren als Hort des anspruchsvollen Autorenkinos versteht? „Nein!“ toben die Puristen. Alle anderen sehen es eher gelassen. Zu recht. Der Film ist kein Meisterwerk, aber solide Unterhaltung, und die die kommt handwerklich fast perfekt daher. Warum so was nicht in Locarno?
Olivier Père, im zweiten Jahr künstlerischer Direktor des Festivals, verweist damit auf seine neue Linie, die er bereits im Vorjahr angedeutet hatte, und das mit großem Erfolg bei Publikum und Kritik. Er will den Spagat von Kunst und Kommerz, ohne das eine gegen das andere auszuspielen. Und er will Glamour. Kommt nur die Hälfte der angekündigten Stars, ist das mehr, als in den fünf, sechs Jahren vor seiner Zeit zusammen.
Wichtigstes Ziel des Festivals sei es, sagt Père, «ebenso faszinierende wie reizvolle Facetten des Filmschaffens dieser Welt, einer vielgestaltigen Kreativität und lebendigen Geschichte des Kinos aufzuzeigen». Dazu gehört für ihn nahezu alles, was der Mark zu bieten hat – und ihm zur Verfügung stellt. Offenbar hat er gute Kontakte, geknüpft wohl in seiner Zeit vor Locarno, da er in Cannes Leiter einer der Sektionen war. Ganz klar: Père will Locarno pushen, will das Festival auf die gleiche Höhe heben wie die drei wichtigsten europäischen Konkurrenten – Berlin, Cannes und Venedig. Vorbei die Zeit, das sich Locarno mit Attributen wie „klein“ und „fein“ zufrieden gab. „Fein“ soll’s bleiben, aber groß werden.
Dazu setzt Olivier Pére auch auf mehr Kontakte zur Filmindustrie. Er hat die internen Vorführungen für die Vertreter des Business’ zahlenmäßig stark erhöht und hofft auf daraus resultierende positive Effekte. Die steigende Zahl der Akkreditierungen der Industrievertreter gibt ihm Recht.
Das Publikum kriegt davon erst einmal nichts mit, wird allenfalls später die Auswirkungen spüren, wenn mehr Blockbuster und Stars nach Locarno kommen. Wobei das ja schon für dieses Jahr versprochen wird. Am Samstagabend sollen Harrison „Indiana Jones“ Ford und Daniel „James Bond“ Craig auf der Piazza Grande „Aliens und Cowboys“ präsentieren. Die Fans sind hektisch gespannt – und selbst eingefleischte Atheisten schicken Stossgebete zur Madonna, dass sie doch wenigstens den Traumfabrik-Männern einen wettertechnisch freundlichen Empfang bereitet.
Und sonst? Da blicken wieder alle auf den Hauptwettbewerb. Der Goldene Leopard und die anderen Preise haben Geltung in der Branche. Beim großen Publikum außerhalb der Schweiz ist das nicht immer so. Auch hier glaubt Père, dass er mit mehr Events, Rummel und Promis eine erhöhte Aufmerksamkeit und Achtung anstoßen kann. Unwahrscheinlich erscheint das nicht.
© Peter Claus
Bild: Jury for the Concorso internazionale, Olivier Père, Artistic Director of the Festival del film Locarno, Louis Garrel, Bettina Oberli, Sandra Hüller, Paulo Branco, Jasmine Trinca, © Festival del film Locarno / Pedrazzini
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