Heute Abend: Löwen-Verleihung! – Die Spekulationen schießen ins Kraut.

Sicher ist nur eins: Alles ist möglich. Diese Jury mit  diesem Präsident überrascht uns möglicherweise enorm.

Sicher ist auch: Der Abschlussfilm macht Spaß. Julie Taymor hat Shakespeares „Der Sturm“ als wilde Show zwischen Wachen und Wahn adaptiert. Sie überrascht damit, dass die Figur des Zaubermeisters Prospero von einer Frau, von Helen Mirren, gespielt wird. Nun ist Helen „The Queen“ Mirren wirklich grandios. Das allerdings ändert an einem nichts: Shakespeare war ist und bleibt wahrscheinlich auch der Größte. Und wenn er eine Rolle als Mann angelegt hat, dann aus gutem Grund. Die „Geschlechtsumwandlung“ bringt keinen wirklichen Gewinn. Wobei: Manchmal sieht es so aus, als spiele Miss Mirren gar keine Frau, sondern eher einen Mann, oder ein Wesen fern jeglichen Geschlechts. Das stört nicht weiter.

Nicht wirklich stören würde auch, wenn die Jury mit ihren Entscheiden total am Votum von Publikum und Kritik vorbei geht. Das Entscheidende ist sowieso, dass hier viele, viele gute Filme zu sehen waren, und dass wir uns auf diese Filme in den heimischen Kinos freuen können.

Mein persönlicher Favorit bleibt „Balada triste de trompeta“ aus Spanien. Aber auch „Post Mortem“ (Chile), „The Ditch“ (Belgien/ Frankreich, gedreht in China), „Silent Souls“ (Russland), „Potiche“ (Frankreich), „La pecora nera“ (Italien) sind Filme, denen ich Preise wünsche. Wichtiger: Verleiher! Venedig hat keinen Markt, gehandelt wird hier wenig. Das passiert jetzt beim grad begonnenen Festival in Toronto. Die meisten Venedig-Filme gehen dort ins Rennen um die Gunst der Einkäufer, Weltvertriebshändler, Verleiher. Da ist jetzt für all die möglichen und schließlich auch die wirklichen Venedig-Preisträger Daumen-Drücken angesagt!

Álex de la Iglesia, Balada Triste de Trompeta (Venezia 67)

Daumen-Drücken braucht auch das Festival von Venedig selbst. Manche unken, dass es das nicht mehr allzu viele Jahre geben dürfte. Es wär’ schad um das älteste Filmfestival der Welt. Nur: Hier muss einiges geschehen. Die Organisation ist nach wie vor nicht immer optimal, die Baustellenatmosphäre auf dem Lido stört, die Wucherpreise in den Hotels und Restaurants schrecken mehr und mehr potentielle Besucher ab. Das kann nicht mehr lange gut gehen.

Schlechte Nachricht kurz vor dem Glanz der Abschlussgala: Marco Müller, der künstlerische Leiter, will seinen im nächsten Jahr auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Für das Festival ist dies ein Problem. Denn Müller gehörte zu jenen Venedig-Chefs, die dem politischen Druck der Berlusconi-Regierung, darauf ausgerichtet, alles „linke Gedankengut“ vom Festival zu verbannen, durchgehend widerstanden haben. Wer kommt nach ihm? Noch werden keine Namen gehandelt. Doch die Angst ist groß, dass es jemand von Berlusconis Gnaden wird. Warten wir’s ab – und lassen uns jetzt erst einmal von den Jury-Entscheidungen zum Abschluss der 67. Mostra Internationale d’Arte Cinematografica überraschen.

Peter Claus