Alfred Harth über eine Ausstellung mit Grenzthematik

Kunst an Koreas mittlere Grenze zu bringen, ist eine Herausforderung, die sich an etlichen geschichtlichen Ereignissen, philosophisch-poetisch-politischen Ebenen & Erwägungen messen lassen sollte, so wie an vorhandener visueller Macht der Dinge, die die Gänze der DMZ (DeMilitarisierte Zone) ausmachen.

Dort ist selbstredend durchgängiger Stacheldraht mit Absperrungen, Wachtürmen und Miltärpotenz präsent, eine für sich sprechende Grenze, die nicht körperlich überschritten werden darf. Strassen und Bahngleise sind gekappt, die infrastrukturellen Lebensadern omnipräsenter merkantiler Tätigkeit auf südkoreanischer Seite – und hier stehen wir – finden hier ein jähes Ende, ausgeprägter als an den drei Küsten Südkoreas im Westen zum Gelben Meer hin, im Süden und im Osten zum Pazifischen Ozean im weitesten Sinn. Dies Land, wo wir stehen, ist eine Insel mit vier Begrenzungen, wovon noch alle Wasserseiten mit ihrer maritimen Betriebsamkeit Durchlässigkeiten offenhalten. Geologisch definiert ist Korea notorisch eine Halbinsel. Eine Halbinsel, die gleich zwei „Inseln“ beherbergt.
Würden sich Hauptstädtler der zwei Inselreiche besuchen wollen, so hätten sie eine Luftlinienstrecke von nur etwa 300km zurückzulegen, hypothetisch. Real müssen jedoch zeit- und kostenaufwendige Assymetrien bemüht werden: Seoul-Peking-Pjoengyang. Wie durchlässig sind die Landesgrenzen des Nordens nach China und nach Russland hin? Wohl wenig und nur unter Sonderauflagen für Handelsaustausch. Jedoch scheint eine militärische Absicherung nach China und Russland hin weniger massiv als in Richtung Bruderstaat. Und hier hassen sich zwei Brüder wie Kain & Abel nicht, seit nunmehr über 6o Jahren.

Vor etwa 100 Jahren begann ein grossangelegter Eliminierungsversuch alles Koreanischen durch das kriegerisch-imperialistsche Japan, das sich die Halbinsel mit Haut & Haar einverleiben wollte. Das erzeugte Widerstand. Und leider ebenso Opportunismus, bzw. Kollaboration.
Sich auf die Seite des vermeintlich Stärkeren zu schlagen, ist so eine Sache. Eher nicht die der Intellektuellen, die sich mehr im kühlen Norden und mit der später verheissungsvollen sozialistischen Idee, basierend auf Bauernaufständen und der Donghak-Bewegung des 19.Jhdts., congruent verstanden.
Unterschiedliche Ansichten & Haltungen also im Umgang mit einem imperialistischen Vampir, der wiederum schliesslich nur durch Druck von aussen am 15. August 1945 kapitulierte und schliesslich ohne bestrafende Zerteilung – so wie in Deutschland zu recht geschehen – davonkam. Hingegen verfiel der siegende Amerikaner auf die krude Idee, das Opferland Korea in zwei zu teilen. Damit sicherten sich die USA einen deutlichen Posten auf dem fernöstlichen Kontinent & waren der Meinung, Japan bereits mit Atombomben genug bestraft zu haben. Die Festlegung einer Teilung Koreas war obsolet gewordener Konflikt. Die Grenze eine falsche Illusion, fest in die Köpfe der Koreaner gemeisselt. Zu welchem Zweck?

Die Amerikaner nutzten den dreijährigen Koreakrieg 1950-53, ihre vom Weltkrieg II übriggebliebenen und veralteten Munitionen flächendeckend zu entsorgen, erwägten sogar einen erneuten Atombombeneinsatz in diesem Zusammenhang und es gelang zuletzt, die DMZ – entsprechend in etwa der vorherigen Teilung auf dem 38. Breitengrad – zu befestigen. Die USA hatten ihr Territorium abgesteckt & klargemacht, was es heisst, ihnen dies streitig machen zu wollen.

Im Süden wurden fortan Amis geliebt & Kommunisten gehasst. Aber es gab einen Waffenstillstand zwischen den Brüdern, wenn auch keinen Frieden. Das Land lag am Boden, unter Reserve in äusserster Armut. Die ideologische Spaltung der Welt, der beginnende Kalte Krieg, waren Motor geworden für einen ausgedehnteren Bruderzwist auch weit jenseits der Grenzen Koreas, bis dieser schliesslich vor 23 Jahren begann, sich global in weitgehende Permeabilitäten zu wandeln, ohne fortgesetzt abgrundtiefe Abgrenzungen.
Nur Nordkorea versteifte sich weiterhin gegen das schreckliche Japan, die mächtigen USA & ihren verräterischen „Pudel“ im Süden und mutierte dieserart in eine Dynastie, ja regredierte wie zu einem der früheren Koenigreiche auf der Halbinsel, eigensinnig, unverständlich, sozusagen ausserhalb der Welt, wurde ein „Hermit Kingdom“. Während die Genossen in China & Russland längst kapitalistischen Spielregeln folgen, wandelt sich – sich selbst bestrafend – der alte Geist zum sich selbst verspeisenden Vampir. Und ausgerechnet die archetypische Kernspaltung wird in den Händen der Machthaber zum Medium, den Goliath USA in Schach zu halten & sich mit einem Pufferstatus quo zufriedenzugeben, an dessen möglichst langer Erhaltung alle Anrainerstaaten ein sehr grosses Interesse haben. Voila, die Wunde vernarbt, das Blut versiegt, sehr grünes Gras wächst darüber, die Grenze bleibt auf einer Breite von vier tausend Metern entmilitarisiert, nur nördlich & südlich davon häufen sich Festungsanlagen, Waffen, Soldatenheere…, da wo wir stehen.

Und da, wo wir stehen, schauen wir über die Befestigungswälle in ein uns fremdes Utopia. Gerodete Gebirgszüge, Wiesen, Wälder, Wasser, scheinbar so unberührt von Menschenhand & voller Zauber wie auf einem idyllischen Prospektcover der Zeugen Jehovas.
Gelingt es in Filmen wie Jurassic Park, eine prähistorische Jungfräulichkeit der Natur zu illusionieren, so haben die Amis & ihre Feinde hier eine echte kilometerweite Dschungelwelt grosser Schönheit geschaffen und lassen uns diese vom Peace Observatory in Cheorwon aus betrachten. Doch der schöne Schein trügt, das Eiserne Dreieck zwischen Cheorwan, Gimhwa und Pyeonggang ist das meistverminte Gebiet der Welt, das sogenannte „Löwenzahnfeld“.
Seit Ende des Koreakriegs gab es allein auf Südseite über 3000 Minenopfer. Entlang der DMZ sind ca 1,2 Millionen Anti-Personenminen verlegt. Entsprechend viele verstecken sich wohl im Norden.

Wir sind nördlich der Civilian Control Line (CCL), eine „Rückkehrlinie für die Bauern“, dort, wo das Haean-Becken von einem Meteoriten geprägt worden sein soll, fruchtbar, wo eine der grössten staatlich geleiteten Umsiedlungsaktionen (Samin) zwischen 1959 und 1980 stattfand, wo neben dem Dorf Mandaeri zu Propagandazwecken mehrere andere herausgeputzte Häuserkulissen entstanden, einen hohen Lebensstandard simulierend, so wie man das von Nordkorea kannte.
Bereits vor über tausend Jahren hatte im Jahre 905 König Gungye die Hauptstadt Songak (heute: Gaesong) verlassen und seinen Regierungssitz auf die Burg von Cheorwon verlegt. Auf ihn warteten 1000 Familien (ca 15.000 Menschen), die er bereits ein Jahr zuvor aus Cheongju hatte übersiedeln lassen. So wurde das Cheorwon von König Gungye die Hauptstadt des mächtigen Ostreiches, das die drei Königreiche Goguryeo, Baekje und Silla vereinigte. Cheorwon – geografisch in der Mitte der Halbinsel gelegen – ist also ein Ort der Vereinigung.
Und zwischenzeitlich, um 1905, hatte Japan das Gebiet der Cheorwon-Ebene im Auge, übersiedelte dorthin seine Kriminellen aus der Praefektur Yamaguchi, um sie zuhause loszuwerden und gleichzeitig einen gewichtigen Stand in Korea zu produzieren.

Anfang der 90er ereignete sich in der gesamten CCL ein brisanter Spekulationsboom. Zusätzlich hatten bereits vorher die alten Grundbesitzer Recht bekommen und damit wurden die Übersiedler, die die Regionen zum Teil unter Verlust ihres Lebens von Minen befreit hatten und mühselig zu Ackerland umwandelten, zu puren Pächtern degradiert. Die Übersiedler der Dörfer der nördlichen CCL lebten dort zum Teil jahrzehntelang völlig abgeschnitten. Militärisch angeordnete sommerliche Waldbrände erschwerten das Leben zusätzlich neben der ausgeprägten Kälte im Winter.

Ein Übersiedler der ersten Stunde erzählte, wie im spannungsgeladenen Jahr 1968 allgemein nächtliche Verdunkelung befohlen worden war.
Die Soldaten liessen bei Nichtbeachtung die Anwohner zur Strafe nachts auf dem Sportplatz gegeneinander mit Fässer-Rollen antreten. Wer gewonnen hatte, durfte nachhause gehen.Diese Aktion wurde legendär & ironischerweise unter „Sportfest der Nacht“ bekannt. Eines Tages rollten Kinder die weiss & blau bemalten Fässer als Ballersatz zum Spiel hinaus. Da mussten die Alten lachen. Solcherlei Ereignisse schmiedeten die frisch übergesiedelten Leute unterschiedlichster Herkunft & Ansichten zusammen.

Allein solch eine Story gefällt mir besser, als jedes Stück der gegenwärtigen Ausstellung, deren gut & herzlich organisierte Besichtigungsrundreise ich neugierig am 27. Juli 2012 in Anspruch nehmen durfte…

Die Übermacht & Intensität der Realität DMZ auf vielen sicht- und unsichtbaren Ebenen ist eine unglaublich mannigfaltige Matrix. An dieser Stelle Kunst anzusiedeln braucht einen sehr wachen Geist. Allein die sichtbare Umgebung von Ruinen, Relikten, militärischer Ästhetik, die im Grenzmuseum ausgestellten veralteten Gebrauchsgegenstände aus Nordkorea, der mittlerweile dort ansässige Kirmesrummel für die Wochenendausflügler, bizarre Denkmäler & Waffenausstellungen etc. evozieren eine geballte Faszination, die zu künstlerischem Kommentar herausfordert, der sich immer an seiner speziellen Umgebung messen lassen wird. Die derzeitige Ausstellung hat leider diese Kraft partout nicht und die Chance bis zur Schädlichkeit verpasst.

Schon vor Jahren bezeichneten Künstler die DMZ als perfekte Installationskunst, damals noch konfliktintensiviert durch viele Poster und Schriften aus riesigen Lettern entlang der Grenze, sowie gigantischen Speakeranlagen, visueller & auditiver Propaganda dienend, d.h. alle Sinne ansprechend.

Die Fahrt durch Alt-Cheorwon bringt uns zur Ruine des Labor Party Building. Auf den 34 Stufen zur ehemaligen Parteizentrale, über die einst ein US-Panzer nach oben gerollt ist, haben sich Spuren der Ketten eingegraben.
1994 wurde die Ruine anlässlich eines darin stattfindenden Friedenskonzertes illuminiert, Dichterlesungen folgten und im Jahr 2000 eine Kunstausstellung innerhalb der Gemäuer unter dem Titel „Next Generation“. Über Folterungen und Ermordungen unzähliger Antikommunisten innerhalb dieser mittlerweile wahrzeichenähnlichem, architektonisch besonderen „Skulptur“ wissen wir Besucher Bescheid. Aber die Gesamtheit der Geisterstadt scheint vergessen zu sein: Die Grundschule auf dem Minenfeld Sayori, die Banken – nur ein Betontresorsockel blieb als Stumpf -, das alte aus Holz gebaute Kreisamt – überwachsen von Bäumen voller weiszer Reiher -, unter kommunistischer Herrschaft die höchste Verwaltungsinstitution, das Volkskommisariat Cheorwon, die Polizeistation, die einst nach der Befreiung Koreas sowjetischen Truppen als Hauptquartier diente, die Seidenfabrik, das Wasserwerk in dessen Wassertank 300 Bürger von nordkoreanischen Soldaten ertränkt worden waren, das Krankenhaus nurmehr als Baugrund, die dreistöckige Cheorwon First Church von 1936, deren Pastor Kang Jong Geun1940 von Japanern im Seodaemungu Gefängnis umgebracht worden war, weil er sich weigerte, den japanischen Kaiser als Gottheit anzubeten… grüne Reisfelder überziehen die einst so belebte, jüngste Vergangenheit wie Photoshop-Layer.
Da, im alten Bahnhof in Weocheonri hat sich Kunst des 21. Jahrhunderts eingenistet; wissen wir Kunsttouristen, dass das recht gut erhaltene Bahnhofsgebäude mit seinen überwucherten Gleisanlagen & Schienen eine Nachahmung ist, 1988 für Besucher errichtet? Dies war einst die grösste Zwischenstation der Gyeongwon-Linie, die sich zwischen Seoul und der bedeutenden Hafenstadt Wonsan erstreckte.Auch ging ehemals die längste Landstrasse (Nr.3) – von Samcheonpo an der Südküste bis zum Jalu-Fluss an der Grenze zur Mandschurei – durch Cheorwon (heute scheint eine Autotour nach ausserhalb des kleinen Südkorea schier unmöglich). Die 1948 im Norden partiell errichtete und 10 Jahre später vollendete architektonisch ansehnliche Syngil-Bogenbrücke über den Hantaanfluss ist ebenso Symbol der geteilten ehemaligen Stadt, wie des Kalten Krieges und des stockenden Versuchs seiner Überwindung.

Hier liegt ein realitätsgetreues Stadtmodell aus den 40er Jahren, sowie seine Geschichte mit Worten & Gedanken der Bewohner begraben, heutzutage geteilt in zwei geisterhafte Cheorwon. Zum Befreiungstag von japanischer Okkupation (15.8.45) wurden in dieser Stadt ca. 38.000 Einwohner gezählt. Der Bahnhof war bereits im WWII von einem amerikanischen B-29 Bomber zerstört worden. Dann stand die ehemals verkehrsknotenartige & umtriebige Stadt fünf Jahre lang unter nordkoreanischer Vorherrschaft. Anschliessend kam der dreijährige Krieg, der die Stadt vernichtete.

Im näheren Umfeld Cheorwons liegt auch der zweite, von den drei in den Jahren 1972 bis ’78 von Norden aus gegrabenen, kilometerlangen militärischen Infiltrationstunnel.

Im heutigen Peace Observatorium mit dem so atemberaubenden Blick übers Eiserne Dreieck, das weder fotografiert noch gezeichnet werden darf, steht ein Modell der alten Palaststadt von Taebongs König Gungye, die ein ebenso imposantes weiteres Geschichtslayer an dieser Stelle offenbart.

Allein nur diese drei Layer an dieser Stelle – die Palaststadt von vor 1100 Jahren / die Großstadt Cheorwon der 40er des 20.Jhdts / das verminte & zugleich überirdisch schöne Naturschauspiel des unberührbaren Eisernen Dreiecks – regt erheblich an zu künstlerischem Umgang in Literatur, Musik & Kunst.

Auf der Heimfahrt nach Seoul durch zunächst fröhlich & frisch-freundlich wirkende Landschaften sass ich im Bus neben Jan aus Berlin. Er las ein Buch in Hangeul (koreanisch) über Pansori. In seiner bescheidenen Art berichtete er mir von seiner Leidenschaft dafür, dass er seine Magisterarbeit darüber schrieb und nun über Gemeinschaftserfahrungen in Pansori-Aufführungen forsche.

Nach einem Kunstspaziergang durch die aktuelle Real DMZ Exhibition 2012 voll oberflächlicher bis dümmlichen Exponaten, war es mir schliesslich beschert, Nährwert im Gespräch mit dem angehenden Scholar Jan auszutauschen. Wenn auch Pansori (zu deutsch „Platzgeräusch“) nicht ganz unmittelbar die Realität DMZ tangiert, dann doch nur insofern, dass es die Sehnsucht nach einem holistischen Korea wachhält, das jenseits von Viren westlicher Zerstörungswut in Harmonie zu leben versteht.

 Alfred Harth
 zum Fotostream „Grenzsituationen“ von Alfred Harth: flickr.com
____________________________________

Bilder via samuso.org

François Mazabraud, Hidden Landscape, 2012, Reference Image (upper left)

Sylbee Kim, Friendly Fire, 2011, video still, 12min 55sec / Courtesy of space O’New Wall and the artist (upper right)

Suntag NOH, To Survive vs Once Arrived #01, 2012, Archival Pigment print, 77 x 100 cm (lower left)

Part-time Suite, Drop By Then: Video, 2010, video still, 41min 17sec / Image courtesy of the artists (lower right)