Vom Bumstier zum Klopfschwein

Anfang der siebziger Jahre stiegen Einbrecher in mein Kinderzimmer ein. Sie sackten meine „Pop“- und „Popfoto“-Hefte ein, schnappten sich eine Tüte Legosteine, eine Handvoll Matchboxautos und verschwanden. Das alles wäre zu verkraften gewesen, hätten die Diebe nicht meine Zigarrenkiste mitgenommen – die kleine Kiste mit den Petzi-Devotionalien.

In den fünfziger Jahren erschienen die Abenteuer von Petzi, Pelle, Pingo und Seebär – erfunden von Carla und Vilhelm Hansen, einem Ehepaar aus Dänemark – in fast 20 deutschen Tageszeitungen, unter anderem in den „Wolfsburger Nachrichten“, einer Lokalausgabe der „Braunschweiger Zeitung“. Jeder Tag brachte drei Bilder, und der Sohn der Nachbarin schnitt sie gewissenhaft für mich aus.

Für mich, weil ich sie eines Tages erben sollte. Der Nachbarsohn heiratete, und die Ausschnitte wanderten in meine Zigarrenkiste. Es waren so viele, dass ich die Kiste kaum zubekam.

Ab da lebte ich glücklich und zufrieden. Wann immer mir danach war, klappte ich meine Kiste auf und ergötzte mich an den vergilbten Papieren. Vor allem die Geschichte mit dem Bumstier hatte es mir angetan. Sie hieß „Petzi kommt zum Turbanvolk“ und bestand aus 50 Streifen. Das Bumstier war ein böses Ferkel mit der schlimmen Angewohnheit, anderen Tieren auf den Kopf zu bumsen. Nachdem Petzi („Ich weiß, wie man ihm das Bumsen abgewöhnen kann!“) das Ferkel zur Vernunft gebracht hat, können König Nupp und sein Volk die Turbane abwickeln und wieder in Ruhe schlafen.

Zum Dank krönt das Turbanvolk Rasmus Klump, wie Petzi in seiner Heimat heißt (der Finne nennt ihn Rasmus Nalle, der Norweger Bamse Björn), zum neuen König. Petzis Regentschaft steht ganz in der Tradition der großen Kinderbuchherrscher – man denke an Amphibius den Milden oder König Alfons den Viertel-vor-Zwölften: „Hier der König auf dem Bilde / Ist Amphibius, der Milde!“ doziert Onkel Eidechs im fünften Lurchi-Abenteuer „Lustige Streiche in der Waldschule“. „Er regierte Tausenddrei / Weise über die Lurchei.“

Die Bumstier-Streifen also waren verloren, und als mir später die Kinderbücher Petzi als König und Petzi im Schloß in die Hände fielen, stürzte ich aus allen Wolken. Der Zyklus, der in meiner Zigarrenkistenfassung aus 296 Einzelbildern bestand, war in der Buchfassung auf die Hälfte zusammengeschrumpft. Federn hatte vor allem die Fortsetzung gelassen, die im Nachbarreiche, im Palast eines sadistischen Nilpferdkönigs, spielt. „Petzi trifft König Iztep“, so der Zeitungstitel, darf als die wohl brutalste Geschichte der an Brutalitäten nicht eben reichen Serie gelten.

Aus König Iztep wurde König Plumm, und aus dem Bumstier im Zuge einer katastrophalen Neuübersetzung das Klopfschwein. Dieser Neubearbeitung aus den Neunzigern fiel auch die Schindmähre Adolf zum Opfer, die dem Landwirt Gerhard Geiß in „Petzis Uhr-Reise“ bei der Mohrrübenernte hilft und die, in der gerupften Buchfassung, über Nacht Adalbert hieß.

Bleibt nachzutragen, daß die Zigarrenkiste verschwunden blieb, obwohl hinter dem Einbruch, wie sich später herausstellte, mein Vater steckte. Der hatte die Beute längst, ohne sich ein Gewissen zu machen, an ein Waisenhaus verschenkt.

Der gemeine Coup – bei dem alles, was mir lieb und teuer war, mit sicherer Hand entfernt worden war – beendete meine Petzi-Phase, die erst Jahre später, und dann weit heftiger, wieder aufflackerte. In der Zwischenzeit suchte ich Trost bei Jerry Spring, einem bonbonfarbenen Cowboy, der 1971 ff. für den Bastei-Verlag ritt. Doch das ist eine andere Geschichte.

Wenzel Storch