Am Ostersonntag wird der Papst in Rom wieder den Apostolischen Segen „Urbi et Orbi“ sprechen. Die Formel beschreibt den Anspruch der Päpste: Für die Stadt und für den Erdkreis. Diese Autorität leiten sie von Petrus her, dem ersten Bischof von Rom. Dabei, vermutlich war Petrus nie in Rom.

Rom. Das Neue Testament wenigstens, die höchste und nach Luther einzige Autorität des Glaubens, weiß davon nichts. Als Jesus Christus vom Hohepriester und dem Hohen Rat verhört wird, es ist der Abend des Pessach-Mahls, der Vorabend des Karfreitag, da wärmt sich Petrus unten im Hof. Eine von den Mägden erkennt ihn: „Auch du warst mit diesem Jesus aus Nazareth zusammen. Doch er leugnete es und sagte: Ich weiß nicht und verstehe nicht, wovon du redest.“ (Mk 14, 6768). Und ehe der Hahn zweimal kräht, wird er den Herrn dreimal verleugnet haben.

Und dieser Mann steht wachend an der Pforte des Himmels, dieser Mann ist die Autorität, die die Macht und die Singularität der Päpste legitimiert?

Simon, wie sein ursprünglicher Name lautet, ist neben Paulus der wichtigste der Apostel. Die Tradition und der Volksglaube erhoben ihn zum Wächter des Himmels, die Kirchenväter erhoben ihn zum ersten Bischof von Rom, obgleich sein Aufenthalt dort historisch ungesichert ist und eher als zweifelhaft gilt. Jesus ist die Idee und Paulus, trägt sie in die Welt. Und Petrus ist ihr Garant und Wächter in dieser Welt. In der Folklore beschützt und bewacht er den Himmel Gottes, in der Realpolitik die Macht der Päpste. Denn etwa seit dem Jahre 400 wird die Dominanz der römischen Bischöfe beansprucht, zu sprechen und zu entscheiden „für die Stadt und für den Erdkreis“. Es gibt nicht eine Stelle des Neuen Testamentes, die das Wirken des Apostels in Rom bezeugt, so wenig wie den dort erlittenen Märtyrertod, den er gesucht haben soll, als er dem Herrn begegnete und die seither als rhetorische Figur Karriere machende Frage „Quo vadis?“ stellte. Für Petrus in Rom spricht nichts als die früh begründete Tradition. Und so gut wie alle Christus-Worte, die die besondere Rolle des Apostels Petrus für die Hierachie der katholischen Kirche begründen sollen, gelten Kirchenhistorikern mehrheitlich als nachträgliche Einfügungen oder falsche Interpretationen.

Der Fischer Simon betritt die Geschichte, die der Schrift wie die der Welt, im ältesten der Evangelien, dem des Markus, als zweite der nichtgöttlichen Figuren, nur Johannes dem Täufer muss er den historischen Vortritt gewähren. Am See Genezareth sieht Jesus den Fischer Simon und seinen Bruder Andreas, sie werfen die Netze aus. „Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen“ (Mk 1,17). Und obgleich dieser Simon kleingläubig zögert, als er dem Herrn gleich über das Wasser gehen soll, obgleich Jesus diesem Mann einmal entgegenschleudert „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mk 8,32). obgleich das also so ist, begründet der Fischer Simon das Recht des unfehlbaren Papstes, den übrigen Menschen zu dekretieren, was der Sinn Gottes sei.

In der Tat erscheint dieser Apostel, zu Teilen gewiss durch nachösterliche Zuschreibung und Interpretation, dem Herrn so nahe wie kein anderer. Er ist der erste männliche Zeuge der Auferstehung, er ist einer der drei, die der Verklärung des Herrn auf Erden teilhaftig werden, er ist der erste, der den Messias bekennt. Dieser Mann, sagte Luther, ist so besonders, weil er glaubt, verzweifelt, wieder glaubt und wieder versagt und dennoch die Erlösung und Vergebung Gottes erhält.

Dieser Mann, sagte die frühe Kirche, ist ein besonderer, weil der Herr ihn erwählt hat, weil der Herr für ihn gebetet hat.

Als der Fischer Simon dem Herrn glaubend antwortet „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ da geschieht es: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16, 16-19).

Das ist es schon. Das Schlüsselwort begründet die Folklore des Volksglaubens, das Felswort (Petrus bedeutet Fels im Aramäischen) die Kirchenpolitik. Dabei, der Jude Jesus, der zum Christus, zum Erlöser wurde, konnte schwerlich die Errichtung einer Kirche im Sinne gehabt haben, er wollte das Judentum erneuern und vollenden. Auch an anderer Stelle, wird die Erwählung begründet wie mit der Aufforderung: „Weide meine Schafe!“ (Joh 21,17).

Manchmal wurden sie auch geschoren. Es ist nicht ohne feine Ironie, dass ausgerechnet das vermeintliche Petrusgrab den Anstoß zur größten Revolution der Kirchengeschichte gab. Denn es war der über dem vermuteten Grab errichtete Petersdom, der Martin Luther revoltieren ließ: Der Petersdom wurde finanziert durch den „Peterpfennig“ und den Ablasshandel – die Folgen sind bekannt.

Im Papst lebt, nach dem Verständnis der römischen Kirche, das Simon Petrus von Jesus Christus übertragene Amt, so dass in Folge der ununterbrochenen Sukzession durch Handauflegung diese Tradition der Autorisierung auf jeden Priester kommt, ein Grund für die Nichtanerkennung des evangelischen Abendmahls.

Die Authentizität der Erwählung Petris ist am Ende, so wie die nichtauthentischen Briefe des Petrus, von eher historisch-akademischem Betracht als von tatsächlicher Bedeutung: Eine Tradition, die seit beinahe zwei Jahrtausenden wirkt schafft ihre eigene Wirklichkeit, ihre eigene Faktizität. So wie es gleichgültig ist, wer der Vater des historischen Jesus war – so lang es niemand weiß. Auf diese Weise haben auch Religion und Glauben mit der normativen Kraft des Faktischen zu tun.

Text: Henryk Goldberg
Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 21.04.2011

Bild: Christ Handing the Keys to St Peter (Pietro Perugino, Cappella Sistina, Vatican)