Die Welt als Ensemble

Heute wird der Theaterregisseur 73 Jahre alt. Ein Mann, der europäische Theatergeschichte hinterlassen wird und die Erinnerung an grauenhafte 21 Stunden Faust.

Alle Preise gewonnen, alle Ehren verlacht, alle Revolutionen gewagt und also alles Scheitern erfahren und dann? Dann wird der kämpferische Revolutionär zum kämpferischen Traditionalisten, der politische Neomarxist zum ästhetischen Wertkonservativen. Peter Stein ist ein Mann, der europäische Theatergeschichte schuf, als Regisseur und als Ensembleleiter. Denn was er hinterlassen hat, das ist neben bedeutenden Aufführungen darunter seine Moskauer Orestie, die 1994 in Weimar beglückte mit so nie wieder gesehenen Chor, die Erfahrung der Berliner Schaubühne. Dieses Haus, ab 1970 für etwa ein Jahrzehnt die vielleicht wichtigste europäische Bühne, exemplifizierte ein Lebensgefühl, das 1968 in die Welt gekommen war. Das Gefühl eines kollektiven Glückes, die Gewissheit, eine Gruppe Gleichgesinnter mit einem Kraftkerl an der Spitze könne, gleich Karl Moor, das tintenklecksende Säkulum zu Paaren treiben. Dieses Ensemble, Bruno Ganz, Udo Samel, Otto Sander, Edith Clever, Jutta Lampe, lebte den Traum des Ensemble-Theaters, der Ensemble-Welt. Da aber Theater kaum spannender sein kann als die Welt, in der es stattfindet, da diese Ensemble-Welt, dieses Wir-Gefühl zerfielen, musste auch das Theater zerfallen, das ein Ab-Bild, ein Traum-Bild war. Wie viele Revolutionäre hat auch dieser nicht Nachhaltigkeit bewirkt, indem er seinen Entwurf ins Wirkliche überführte es ist bereits der Entwurf, der die Welt verändert, indem er eine Hoffnung stiftet, eine Möglichkeit beschreibt. Peter Stein hat einen Traum geschaffen, eine Erinnerung daran, was Theater sein kann.

Text: Henryk Goldberg