Sein Sohn
Am 25. Dezember 1789 wurde August Vulpius geboren, der später Goethe hieß und doch nie wurde

Die Inschrift auf seinem Grab erzählt sein Schicksal: Da liegt kein Mensch aus eigenem Recht, da  liegt Goethes Sohn. August von Goethe liegt auf dem Cimitero Acattolico in Rom, wo er am 27. Oktober 1830 gestorben ist. Vordergündig eine Hirnhautentzündung, tiefer im Körper eine weinzerfressene Leber und ganz weit innen eine vaterzerstörte Seele. Wie so vieles in Goethes Leben ein Muster ist, so ist auch sein Sohn ein solches: Das des Sohnes, der unter der Weltbedeutung des Vater stöhnt, bis er die Last nicht mehr trägt. Ein solches Privileg kann einen Menschen in Verzweiflung treiben.

Dabei, als August am 1. Weihnachtsfeiertag des Jahres 1789 geboren wird, da ist er noch kein Goethe. Er ist ein Bastard, und im Kirchenbuch kommt der Name des Vaters nicht vor. Und begrüßt wird er vnom Zischeln der Stadt. So ein Kind gehört sich nicht. Der Vater bekennt sich zu Mutter und Kind, nimmt, der doch die Behaglichkeiten liebt, einen Umzug in Kauf, eine Art Rausschmiss, weil die Herzogin Louise den Bastard nicht vor der Nase will.  Aber es nützt dem Jungen nichts, dass sein Vater in dem Betreff ein wackerer Mann ist.

In sein Stammbuch, es liegt seit einiger Zeit wieder in Weimar, schreibt dem Knaben Johann Gottlieb Fichte dieses: Die Nation hat große Anforderungen an Sie, einziger Sohn des Einzigen in unserem Zeitalter. Wie soll so einer leben?

Er studiert die Rechte, er erhält, wie nicht, eine Stellung bei Hofe, wo er sich wacker schlägt, er wird der Vertraute und Gehilfe und Vertreter seines Vaters, auch hier ganz redlich. All die Durchschnittlichkeit, all das Fehlen jeglicher nennenswerten Befähigung gälte nicht als bemerkenswert, wäre er nicht verdammt, Goethes Sohn zu heißen. Es ist nicht des Dichters Schuld, dass sein Sohn so leidet, es ist niemandes Schuld. Es ist einfach so, weil ein Durchschnittsmensch in die Geschichtsbücher  gerät.

1817 heiratet August Ottilie von Pogwisch, das macht ihn nicht glücklicher. Drei Kinder, Goethes Enkel. Alma stirbt mit siebzehn Jahren, ehe sie Frau und Mutter werden kann, Wolfgang und Walter führen beinahe eremitische Leben, als erfüllten sie ein Gebot, dieses Geschlecht aussterben zu lassen. Walter verdanken wir, das ist die letzte Handlung eines Goethe, ein nobles Testament, dessen Sinn es nicht ist, mäßig erfolgreiche Banker zu alimentieren.

Und wie das Geschlecht mit seinen drei Kindern endet, so ist schon August das einzige der fünf Kinder seiner Eltern, das überhaupt erwachsen wird. Als sei eine geheimnisvolle Kraft zu verhindern gewillt, dass diese Gene weiteren Proben unterzogen werden.

August ist seinem Vater eine wirkliche Hilfe, was der einen Tag vor Christianes Tod dankbar in seinem Tagebuch vermerkt: Mein Sohn Helfer, Rathgeber, ja einziger haltbarer Punkt in dieser Verwirrung. Aber während
seine umtriebige, ihn an Vitalität und Intelligenz überragende Frau die Nähe des weltbedeutenden Schwiegervaters genießt und daraus eine Art Karriere ableitet, in der sie die Aura von Goethes Schwiegertochter mit eigener Energie zu verbinden weiß, leidet August hoffnungslos: Ich will nicht mehr am Gängelband / Wie sonst geleitet seyn / Und lieber an des Abgrunds Rand / Von jeder Fessel mich befrein.

Irgendwann verfallen sie auf den Gedanken, es so zu halten wie einst der Vater. Es ist auch diesmal eine Flucht aus Weimar, aber doch anders. Sein Vater gibt ihm das Geld mit und den Eckermann, als August im April 1830 nach Italien aufbricht. Es ist in Rom, als ihn das Fieber erreicht und, sonderbare Laune, sie begraben ihn just an jener Stelle, an der begraben zu werden sich sein Vater 42 Jahre zuvor in einer melancholischen Stimmung wünschte. Seinen Vater hatte diese Flucht aus Weimar nach Italien damals gerettet. Dieses eine mal will Goethes Sohn es halten wie der Alte. Er stirbt daran.

Womöglich wäre dieser Mann glücklicher geworden, hätte sein Vater, die schwangere Mutter, wie es des Landes Brauch durchaus war, mit etwas Geld und einem braven Mann versehen, statt sie sein Haus zu holen. Niemand spräche von August Vulpius, aber vielleicht, dass er ein eigenes Leben gelebt hätte.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben  2004

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine