Hitler – der populärste Tote der Postmoderne

Daniel Erks unterhaltsames Aufklärungsbuch über den ewigen Frühling des Führers  

Nein, den marktreißerischen Superlativ im Titel haben sie klugerweise vermieden.  Zwar heißt es im Klappentext des Random House-Ablegers Heyne über Daniel Erks Hitler-Aufklärungsbuch raunend: „Der Umgang mit dem ‚Führer’ wird immer sorgloser.“ Doch der Titel selbst ist eher zurückhaltend: „So viel Hitler war selten.“ Hier schwingt wohl die Ahnung mit, dass „Springtime for Hitler“, um den legendären Refrain von Mel Brooks’ Filmklassiker „The Producers“ zu zitieren, nunmehr seit Jahrzehnten  währt. Zu allen Jahreszeiten, bei jeder Gelegenheit begegnen uns Hitler und die Seinen. Der Mann aus Braunau ist  zum populärsten wie prominentesten Untoten der Postmoderne geworden. Ein mächtiges Gespenst in einem vorgeblich säkularen Zeitalter. Mit der modernen Medien-Figur Hitler verbindet sich ein unablässiger Strom von Humor, Witzen, Persiflagen, und Parodien.

Die bloße Feststellung einer grassierenden Hitler-Mania birgt also keinen großen Erkenntniswert – und doch ist Daniel Erks Buch verdienstvoll. Erk, der unter dem Dach der taz seit Jahren das Hitlerblog betreibt, listet in „So viel Hitler war selten“ mit  Eifer und Geduld auf, wie sich die Kulturindustrie Hitlers und seinem Gedenken angenommen hat und zu welch verbalen Entgleisungen die Analogien mit Hitler und dem Nationalsozialismus zuweilen geführt haben. Die Medienskandale von gestern und vorgestern ziehen im Zeitraffertempo vorbei. Etwa Philipp Jenningers unbeholfene Rede vom „Faszinosum des Nationalsozialismus“, Hertha Däubler-Gmelins im Wahlkampf geäußerter Vergleich von George W. Bush mit „Adolf Nazi“, der Auftritt von DJ Tomekk im RTL-Dschungelcamp mit Hitler-Gruss und erster Strophe des Deutschlandlieds. Bizarre Funde kommen auch zutage, wenn sich Erk der Werbeindustrie annimmt, die – bloß um Aufmerksamkeit zu generieren – vor keinem Hitler-Bezug zurückschreckt. Wenn um die tödliche Gefahr von Zigaretten, den Schutz von Pelztieren, den Verzicht auf Fleischverzehr geht: Immer muss Hitler herhalten.  In leichter Abweichung von Hannah Arendts Diktum über Eichmann und „Der Banalität des Bösen“ spricht Erk deshalb auch von einer zunehmenden „Banalisierung des Bösen“.

Wie der tote Hitler nachträglich über die Deutschen (und die Welt) gekommen ist, versucht Erk in vier gut nachvollziehbare chronologische Stufen zu fassen: In den späten vierziger Jahren war der Hitler-Humor ein „antifaschistisches Bekenntnis“, ab Ende der Sechziger ein „Reinigungsprozess“ gegen das in der Adenauer-Zeit konservierte Erbe der Nazi-Zeit, in den Achtzigern bekam er eine „verbiestert aufklärerische Intention“ und seit den neunziger Jahren ist er zu einer „Abwehrschlacht gegen die zunehmend banale mediale Vermarktung des Dritten Reichs“ geworden. Die Frage wäre, ob dieser Kampf nicht auch ein Teil der großen Wiederaufbereitungsmaschine ist?

Erk macht eine Verfallskurve bei der Beschäftigung mit Hitler und der Zeit des Dritten Reichs aus. Als ein abschreckendes Beispiel für diese Entwicklung gilt ihm Bernd Eichingers „Untergang“. Ein Film, der die Privatisierung und Verharmlosung des Diktators zu einem kauzigen Einzelgänger auf die Spitze treibt. Den Gegenpol markiert Harald Schmidt, der das Spiel mit den Meta-Ebenen (an guten Tagen) wie kein anderer beherrscht und der den verkrampften, aufgeregten Umgang der Deutschen mit dem „Führer“ karikieren kann wie kaum ein anderer.

Leider bleibt die Gegenwartsebene trotz des Bezugs auf Quentins Tarantinos „Inglorious Basterds“ und die „Harry Potter“-Filme etwas unausgeführt. In Wirklichkeit ist es doch so: In deutschen Historienfilmen, wo die Genregesetze von Katastrophenfilm und Melodrama  unerbittlich herrschen, werden die Skandale von gestern in kreuzbraver Form abgehandelt.  Da bleibt kein Raum für Brechung, Reflexion und Irritation. Hier bleibt Erk arg pauschal und begnügt sich mit einem – zugegebenermaßen schönen – Zitat – Don DeLillos: „Hitler, natürlich. Er ist gestern Nacht schon wieder aufgetaucht. Er taucht immer wieder auf. Unser Fernsehen würde ohne ihn nicht existieren.“

Erk beschränkt sich in seiner Hitler-Rundschau auf dessen andauernde Präsenz in den Unterhaltungsmedien. Er zitiert zwar die deutsche Historiker-Debatte, er referiert Susan Sontags Verdikt vom „Fascinating Fascism“ und Michel Foucaults  nachhaltige Irritation über die Welle der Sadiconazista-Filme. Er zitiert Georg Seeßlen und Markus Stiglegger als filmtheoretische Referenzen. Aber die Sphäre der aktuellen sozialwissenschaftlichen, psychologischen, historiographischen Beschäftigung mit der NS-Zeit und den bis heute  nachwirkenden Traumata dieser Zeit betritt er trotzdem nicht. Dabei ließe sich mit einigem Recht auch hier sagen: So viel Hitler war selten. Erinnert sei nur an „Das Amt“, den umstrittenen Bericht der unabhängigen Historikerkommission zur NS-Verstrickung des Auswärtigen Amts oder die vom Verbot bedrohte TV-Dokumentation über die Industriellendynastie der Quandts und deren Rolle in der NS-Zeit oder die diversen aufsehenerregenden Werke des britischen Historikers Ian Kershaw über Hitler und die Jahre des Zweiten Weltkriegs.  Die sogenannte Nibelungentreue der Deutschen, die ihrem Führer bis zuletzt folgten, wird hier auf ihre zwiespältigen Motive untersucht.

Hier klafft die Schere auseinander zwischen einem Comic-Hitler, der als wohlfeile Unterhaltungsfigur zur moralischen Entlastung der Nachgeborenen taugt und einem Diskurs-Hitler, der zunehmend seziert wird. Oder fällt der Befund trüber aus? Dass nämlich auch in den Wissenschaften die großen, bahnbrechenden Einsichten fehlen und dass der eine Autor einfallslos den anderen zitiert (oder gar abschreibt)? Herrschen inzwischen auch hier die Verwertungsgesetze des Trash  vor?

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„Springtime for Hitler“ (gesehen bei Youtube)

Schließlich: Nur in Spurenelementen ist bei Erk zu entdecken, dass Hitler auch fast 67 Jahre nach seinem Selbstmord in der Reichskanzlei beunruhigend viele Anhänger hat. Nicht nur in einer entlegenen Region wie der Mongolei, wo sich die extremistischen Anhänger einer Organisation namens „Weißes Hakenkreuz“ ausgerechnet auf Hitler und dessen arische Rassereinheitsgebote berufen.  Auch hierzulande steht der Nazismus plötzlich wieder auf der Tagesordnung. Eine politische Gruppierung, der unsere Politiker und Verfassungsschützer lange Zeit jede Relevanz absprachen, wird seit der späten Entdeckung der Zwickauer Terrorzelle und deren Mordtaten als reale politische Gefahr wahrgenommen. Es ist nur logisch bei den Mechanismen unserer Empörungsdemokratie, dass das Pendel jetzt zur anderen Seite auszuschlagen droht.  Gestern ignoriert, heute hypostasiert. Und als Comic-Vorbild haben sich die Zwickauer Aktivisten nicht etwa den despotischen Adolf Hitler sondern den anarchistischen Pink Panther genommen. Doch diese überraschenden Inkongruenzen in der Dialektik zwischen medialem Abbildern und politischen Vorbildern bleiben bei Erk unerörtert.

Kein Marketing-Stratege hätte sich übrigens besser ausdenken können, was sich pünktlich zum Start  von Erks Buch um ein anderes, verschwundenes Buch abspielt. Da will ein britischer Verleger Auszüge aus Hitlers Mein Kampf an den Kiosk bringen und kleidet dieses  Projekt in ein zweifelhaftes, aufklärerisches Vokabular.  Der Freistaat Bayern als Urheberrechtsinhaber will diese Veröffentlichung unbedingt verhindern und an einem Runden Tisch seinerseits über eine mögliche Publikationsform nachdenken. Mit einigem Recht lässt sich  sagen: So viel Aufregung um Hitler war  selten.

 © Michael André für getidan

So viel Hitler war selten –Die Banalisierung des Bösen
ODER Warum der Mann mit dem kleinen Bart nicht totzukriegen ist

Daniel Erk. Taschenbuch. 238 Seiten
9,99 €, Heyne-Verlag München 2012

Buchinfo & Reinlesen via randomhouse.de
Bild: CC-BY-SA  Bundesarchiv, Bild 146-1990-048-29, Adolf Hitler in Zivilkleidung auf Schreibtisch sitzend (Porträt)

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