Tansania (Teil 1 lesen)
Tansania (Teil 2 lesen)
Tansania (Teil 3 lesen)

Mutter und Kind passieren fröhlich bunt einen Busrastplatz zwischen Iringa und Bagamoyo

Mutter und Kind passieren fröhlich bunt einen Busrastplatz zwischen Iringa und Bagamoyo

Montag, 25. August 2008

Bagamoyo

Ich trenne mich von meinen Wanderschuhen. Im Dezember 2007 für 25 kanadische Dollar in Toronto erworben, sind sie nun endgültig reif für die Mülltonne. Die Sohle des rechten Schuhs weist ein riesiges Loch auf, die Sohle des linken sogar zwei Löcher. Seit Tagen schon bin ich auf alles Spitze und Scharfe getreten, was der Boden Tansanias zu bieten hat. Das hat auch mein letztes Paar Socken nicht überlebt, das nun ebenfalls in die Tonne wandert.

Barfuß schlüpfe ich in meine neuen weiß-blauen Sneakers, die ich im Juni in Stalins Geburtstadt Gori gekauft habe. Also in jener Stadt, in der seit 17 Tagen der Krieg zwischen Georgien und Russland tobt. Ich trage Geschichte an meinen nackten Füßen.

Viel laufen muss ich heute nicht. Aber fahren. Um Punkt 9 Uhr verlässt der Reisebus von Scandinavian Express Services den Busbahnhof von Iringa. Sven und Caroline, die heute ebenfalls nach Dar es Salaam fahren, haben reservierte Plätze im Mittelfeld. Mein Platz, den ich gestern gerade noch ergattern konnte, ist in der vorletzten Reihe. Im Gegensatz zu den üblichen Minibussen hat in diesem vergleichsweise luxuriösen Reisebus jeder Fahrgast Anrecht auf einen kompletten Platz. Hühner fahren auch keine mit. Dafür aber eine große Gruppe Italiener, die fast den gesamten vorderen Teil des Busses für sich beanspruchen und lautstark kommunizieren.

Das Badezimmer des Vatican Guesthouses in Bagamoyo wirkt alles andere als einladend.

Das Badezimmer des Vatican Guesthouses in Bagamoyo wirkt alles andere als einladend.

Etliche Male klebt der eigentlich schnelle Bus hinter langsameren Bussen der Konkurrenz oder hinter noch langsameren Lastwagen. Die Folge: Statt um 16 Uhr, wie es der Fahrplan verspricht, erreichen wir erst um 17.30 Uhr den Busterminal von Dar es Salaam. Sven und Caroline bekommen jetzt keine Fähre mehr nach Sansibar. Sie nehmen ein Taxi zur Econo Lodge. Ich will mich erst anschließen, frage aber aus Neugier, wie viel ein Taxi ins 65 Kilometer entfernte Bagamoyo kostet. Die erste Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas steht eh auf meinem Plan und wird mindestens einen Reisetag verschlingen. Statt teuer in Dar es Salaam zu übernachten und übermorgen zweimal zwei Stunden für Minibusfahrten zu opfern, kann ich schon heute nach Bagamoyo fahren, dort günstig übernachten und morgen sofort mit dem Sightseeing loslegen.

80.000 Schilling. So viel fordert der Taxifahrer. Ich biete 30.000. Er will 50.000. Ich hebe mein Gepäck in den Kofferraum des Taxis, mit dem Caroline und Sven die kurze Strecke zur Lodge fahren wollen. Jetzt ruft der Taxifahrer seinen Kollegen, der eh in der Nähe von  Bagamoyo lebt. Der lässt sich auf 30.000 Schilling runterhandeln. Ich verabschiede mich von meinen Mitreisenden und steige ins Taxi. Wenige Minuten später hängen wir im Stau des Feierabendverkehrs fest. Dar es Salaams Straßen sind chronisch verstopft, am Abend sowieso.

Mein Fahrer Hashir wendet auf der neuen Schnellstraße und biegt auf die „Old Bagamoyo Road“ ab. An der liegt auch die riesige Botschaft der USA. Sie ist sehr neu und sehr gut gesichert. Die alte US-Botschaft wurde am 7. August 1998 bei einem Attentat in Grund und Boden gebombt. Fast zeitgleich mit der US-Botschaft in Nairobi.

Leider teilt Hashir die Idee, auf die alte Straße auszuweichen, mit vielen anderen Autofahrern. Schnell stehen wir wieder im Stau. Die Sonne ist längst im Indischen Ozean abgetaucht, als wir endlich in Bewegung kommen. Bei Dunkelheit macht die 65 Kilometer lange Fahrt nicht besonders viel Spaß. Der Gegenverkehr auf der unbeleuchteten Straße blendet derart, dass Hashir ständig abbremsen muss, um keinen der Radfahrer und Fußgänger am Straßenrand umzunieten.

Um 19.25 Uhr sind wir am Ziel. Die teuren Lodges mit Ozeanblick will ich mir nicht leisten. Hashir soll eines der in meinem Reisebuch empfohlenen Gästehäuser ansteuern. „Vatican Guest House“ klingt vertrauenerweckend. Doch die schäbige Realität lässt mich vom Glauben abfallen. Die kargen Zimmer gleichen Gefängniszellen, Bett und Beistelltisch sind schlimmer als Sperrmüll, die Toiletten und Duschen am Ende des Korridors sind in einem erbärmlichen Zustand. Mich überzeugt nur der Preis: 4000 Schilling, ungefähr 2,50 Euro. Eine Nacht werde ich in der Absteige wohl überleben können. Morgen suche ich was Besseres.
Nach einer Katzenwäsche mit Mineralwasser aus meiner mitgebrachten Flasche ersetze ich das uralte Kopfkissen auf dem Bett durch meine Jacke, über die ich mein Handtuch lege. Ich will so schnell wie möglich einschlafen. Dummerweise macht das Gasthauspersonal noch ein wenig Party vor meinem Fenster. Mit lauter Radiomusik und angeregten Gesprächen. Einmal mehr erweisen sich die gelben Schaumstoffpfropfen, mit denen ich meine Ohren versiegeln kann, als wichtigste Reiseutensilien in meinem Rucksack.

Die German Boma war 1895 als Hauptsitz der deutsch-ostafrikanischen Kolonialverwaltung gedacht.

Die German Boma war 1895 als Hauptsitz der deutsch-ostafrikanischen Kolonialverwaltung gedacht.

Die German Boma zerfällt zusehends. Das Wellblechdach wurde gestohlen und als Baumaterial für umliegende Hütten genutzt.

Die German Boma zerfällt zusehends. Das Wellblechdach wurde gestohlen und als Baumaterial für umliegende Hütten genutzt.

Dienstag, 26. August 2008

Bagamoyo

Ich habe die Nacht in der einfachsten und schmuddeligsten Unterkunft meiner gesamten Reise überlebt. Das Vatican Guest House erhält von mir sogar noch einmal 4000 Schilling für eine weitere Nacht. Die will ich zwar nicht mehr in meiner kargen Zelle verbringen, aber so kann ich zumindest mein Gepäck im Zimmer wegschließen und in aller Ruhe parallel zum Sightseeing eine bessere Alternative in Bagamoyo suchen.

Die Stadt ist ein einziges Freilichtmuseum mit faszinierenden und zum Teil erschreckend verfallenen Bauten aus allen Epochen ihrer Besiedelungsgeschichte. Schon im achten Jahrhundert kamen die Perser, später folgten arabische, indische und pakistanische Händler. Die Blütezeit kam unter arabischen Sklaven- und Elfenbeinhändlern, gefolgt von christlichen Missionaren und Entdeckern aus Europa.

1888 erhoben die Deutschen Bagamoyo zur ersten Hauptstadt von Deutsch-Ostafrika. Schon drei Jahre später ging der Titel an Dar es Salaam. Dieser Ort bot einen Hafen, der nicht so schnell versandete und sich besser für große Dampfer eignete. Die Deutschen hielten an Bagamoyo als Sitz einer Bezirksverwaltung fest, doch durch den Einmarsch britischer Truppen im Ersten Weltkrieg fiel die Stadt 1916 an Großbritannien.

Der Boden der German Boma ist übersäht von Dokumenten der tansanischen Verwaltung.

Der Boden der German Boma ist übersäht von Dokumenten der tansanischen Verwaltung.

Mein Rundgang durch die 35.000 Einwohner zählende Stadt beginnt an der „German Boma“. Noch vor ihrer Fertigstellung im Jahr 1895 verlor sie ihre ursprünglich zugedachte Funktion als Hauptsitz der Kolonialverwaltung. Dennoch fanden hier über hundert Jahre lang Beamte und Aktenordner eine Heimat. Zunächst deutsche, dann britische, seit der Unabhängigkeit im Jahr 1961 schließlich auch tansanische.

Noch steht die German Boma, doch die Substanz der 117 Jahre alten Festung lässt zu wünschen übrig.

Noch steht die German Boma, doch die Substanz der 117 Jahre alten Festung lässt zu wünschen übrig.

Das einst prächtige Bauwerk ist heute in einem erbärmlichen Zustand. Der Balkon und Teile der zweiten Etage sind eingestürzt, die Fenster eingeschlagen, der Putz bröckelt von allen Wänden. Unkraut wuchert überall, ein Papierwust aus Steuerbescheiden, Wahlunterlagen und sogar Heiratsurkunden bedeckt die Böden vor und in dem Gebäude. Mein Reisebuch warnt vor dem Betreten des Hauses, weil jederzeit Decken und Wände einstürzen können. Doch die kaputten Türen stehen eh auf, und ich bin halt neugierig.

Die neuen britischen Machthaber sprengten nach dem Zweiten Weltkrieg das deutsche Denkmal vor der Festung.

Die neuen britischen Machthaber sprengten nach dem Zweiten Weltkrieg das deutsche Denkmal vor der Festung.

Die 140 Jahre alte Festung von Bagamoyo diente den Deutschen einst als Polizeigebäude mit Gefängnis.

Die 140 Jahre alte Festung von Bagamoyo diente den Deutschen einst als Polizeigebäude mit Gefängnis.

Es dürfte nur noch eine Frage von wenigen Jahren sein, bis der Bau endgültig am Boden liegt. Die deutsche Bundesregierung hat eine Renovierung der „German Boma“ aus Kostengründen abgelehnt. Im deutlich besseren Zustand zeigt sich die alte Festung von Bagamoyo, die wenige hundert Meter entfernt am Indischen Ozean steht. Sie ist über 140 Jahre alt und sollte als Gefängnis für Sklaven dienen. Die Deutschen funktionierten sie zur Kolonialverwaltung und Polizeistation mit Gefängnistrakt um. Die Festung ist schnell besichtigt. Ich gehe zum Friedhof, auf dem viele deutsche Soldaten begraben wurden. Sie kämpften 1890 an der Seite von Reichskommissar Hermann von Wissmann gegen aufständische Stämme. Grabsteine erzählen ganze Geschichten. Zum Beispiel der Stein von Unterleutnant Max Schelle, der auf dem Kriegsschiff Schwalbe diente. Er starb „am 19. Mai 1889 beim Sturm auf die befestigte Stellung bei Bogamoijo – Allen voran, der Erste im feindlichen Lager“. Auch Peter Merkel, „Zahlmeister der Deutschen Schutztruppen“, ist hier auf einem Grabstein verewigt.

Deutsche Grabsteine zeugen von der Kolonialgeschichte Bagamoyos.

Deutsche Grabsteine zeugen von der Kolonialgeschichte Bagamoyos.

Das Monument, das allen gefallenen deutschen Soldaten im Jahr 1910 direkt vor der „German Boma“ errichtet worden war, fiel den Briten zum Opfer. Schwarz-Weiß-Fotos vom Monument gibt es nur noch in Reisebüchern und auf Postkarten zu sehen. Ich gehe den weißen Sandstrand entlang und sehe den Fischern zu. Die Bauweise ihrer einfachen Holzboote, die mit großen Segeltüchern über den Indischen Ozean peitschen, gleicht der aus Madagaskar und stammt ursprünglich aus Indonesien. Im angrenzenden Fischmarkt brutzelt der fangfrische Fisch in riesigen Pfannen mit altem Fett.

Mit einfachen Holzbooten fahren die Fischer auf den Indischen Ozean heraus.

Mit einfachen Holzbooten fahren die Fischer auf den Indischen Ozean heraus.

Die Altstadt ist in einem erbärmlichen Zustand. Die Fassaden aller Steinbauten drohen bald zusammenzubrechen. Man wünscht sich geradezu, dass die UNESCO Bagamoyo endlich zum Weltkulturerbe ernennt und rettet. Allein die filigran geschnitzten Holztüren, die fast jeden Hauseingang zieren, rechtfertigen jede finanzielle Hilfe für dieses bewohnte Museum.

Die traditionellen Holztüren zerfallen oder werden an Interessenten verkauft.

Die traditionellen Holztüren zerfallen oder werden an Interessenten verkauft.

Vorbei an der alten Post und an mehreren Moscheen, erreiche ich mein nächstes Etappenziel: die Traveller’s Lodge, die von zwei Deutschen betrieben wird und zu den besten Adressen in Bagamoyo zählt. Mein Reisebuch lobt das Frühstücksbuffet, weshalb ich mich für 6000 Schilling daran satt esse. Die warmen Speisen könnten deutlich wärmer sein, aber nach dem dritten Gang habe ich zumindest genug Energie für die weiteren Programmpunkte.

Ein alter Fischer aus Bagamoyo.

Ein alter Fischer aus Bagamoyo.

Dörfliche Idylle in der 35.000-Einwohner-Stadt Bagamoyo.

Dörfliche Idylle in der 35.000-Einwohner-Stadt Bagamoyo.

Eine Mangrovenbaumallee führt zum ältesten Kloster Ostafrikas. Im Jahr 1868 überließen die Muslime von Bagamoyo den „Brüdern des Heiligen Geistes“ ein Stück Land, auf dem sie eine katholische Missionsstation errichten konnten. Die diente zunächst vor allem als Zuflucht für Kinder, die der Sklaverei entkommen waren. Bald entstanden hier auch eine Kirche, eine Schule, Werkstätten und landwirtschaftliche Einrichtungen.

Die Firma Siemens finanzierte die Renovierung des klösterlichen Schwesternheims, in dem heute ein Museum untergebracht ist.

Die Firma Siemens finanzierte die Renovierung des klösterlichen Schwesternheims, in dem heute ein Museum untergebracht ist.

An all das erinnert ein sehr sehenswertes Museum. Untergebracht in einem früheren Schwesternheim. Die deutsche Regierung und die Firma Siemens haben die Renovierung finanziert. In der Ausstellung erfahre ich, dass der Name Bagamoyo von „Bwaga-Moyo“ stammt. Aus dem Suaheli übersetzt bedeutet das „Leg dein Herz nieder“. Ende des 18. Jahrhunderts war der Handelshafen ein Umschlagplatz für Sklaven, die vom Hinterland aus den Regionen um Morogoro, den Tanganjikasee und Usambara herangeschafft und auf Boote nach Sansibar verladen wurden. Überlebten sie den schweren Marsch, bei dem sie auch große Mengen Elfenbein zu tragen hatten, wussten sie beim Besteigen des Schiffs nach Sansibar: Ich werde meine Heimat nie wieder sehen und kann nur mein Herz zurücklassen.

Schwestern und Priester der katholischen Kirche kauften Kinder aus der Sklaverei frei und brachten ihr die Kirche nahe.

Schwestern und Priester der katholischen Kirche kauften Kinder aus der Sklaverei frei und brachten ihr die Kirche nahe.

Im Jahr 1873 wurde der Sklavenhandel abgeschafft, doch noch bis zum Jahrhundertwechsel wurden in Bagamoyo Sklaven verkauft und gehandelt. Meist illegal und hinter dem Rücken der deutschen Kolonialherren. Wenn die deutschen Kontrolleure auftauchten, warfen die arabischen Händler ganze Bootsladungen von Sklaven ins Wasser, um die Spuren zu beseitigen. Weil alle aneinandergekettet waren, ertranken sie ohne jede Aussicht auf Rettung.

Die deutschen Brüder des Heiligen Geistes gründeten 1868 in Bagamoyo ein Kloster.

Die deutschen Brüder des Heiligen Geistes gründeten 1868 in Bagamoyo ein Kloster.

Das kleine Museum unterstreicht, welche Rolle die katholische Mission bei der Abschaffung der Sklaverei spielte. Wie schon seit 1863 auf Sansibar, kaufte die Kirche fünf Jahre später auch auf dem Festland in Bagamoyo viele Sklaven frei, um sie in der Mission zum christlichen Glauben zu führen. Die sogenannten „Freiheitsbriefe“ sind im Museum ausgestellt. Während die Missionare für die Jungen und Männer zuständig waren, nahmen sich die Schwestern vom Orden der Töchter Mariens aller Mädchen und Frauen an.

Prominentester „Gast“ in der angrenzenden ältesten Kirche des ostafrikanischen Festlands war Dr. David Livingstone. Genauer gesagt sein Leichnam. Der schottische Missionar, der sich wie kaum ein anderer der Sklavenbefreiung verschrieben hatte, starb im heutigen Sambia. Daraufhin wurde sein Leichnam 2400 Kilometer bis zur Küste getragen. Vom 24. bis 25. Februar 1874 war der tote Livingstone in der Kirche von Bagamoyo aufgebahrt. Nach einem Trauergottesdienst, an dem sich 700 befreite Sklaven beteiligten, wurde der Körper mit dem Schiff nach London gebracht. Dort liegt Livingstone seither in der Westminster Abbey begraben. Sein Herz ist in Afrika geblieben, so wie er es vor seinem Tod verfügt hatte. Es wurde herausgeschnitten und an seinem Sterbeort begraben.

Die alte Karawanserei dient heute als Museum.

Die alte Karawanserei dient heute als Museum.

Mein Besuch im Museum wird teurer als erwartet. Weil an der Kasse auch alte Münzen aus britischer Kolonialzeit verkauft werden, zahle ich nicht nur 1500 Schilling Eintritt und weitere 1000 für die Fotoerlaubnis. Ich kaufe auch vier Münzen für 4000 Schilling. Gibt es hier auch alte Heller aus Deutsch-Ostafrika? Gibt es. Allerdings bei den Händlern auf dem Vorplatz des Museums. Die umringen mich gleich mit Papier- und Hartgeld aus allen Epochen. Am Ende gebe ich weitere 17.000 Schilling aus. Ich muss besser haushalten, wenn mein letztes Bargeld noch bis zur Abreise am Donnerstag reichen soll.

Zurück im Zentrum von Bagamoyo, besuche ich die alte Karawanserei der Stadt. Lange Zeit hatten Archäologen angenommen, dass sie als Zwischenlager für Sklaven diente. Doch jüngste Funde in dem 1860 erbauten Haus konnten beweisen, dass hier die herrschende arabische Klasse im Luxus schwelgte. Geld hatten die Sklavenhändler reichlich. 50.000 Sklaven und das von ihnen geschleppte Elfenbein erreichten jedes Jahr die kleine Stadt.

Der hauseigene Museumsführer, den ich mit meinem Eintrittsgeld von 2000 Schilling obligatorisch an die Seite bekomme, bemüht sich redlich, mich in die Geschichte der Karawanserai einzuführen. Leider ist sein Englisch schlecht und sein Akzent stark. Eine Unterhaltung zwischen uns ist nicht möglich. Ich lasse ihn reden und konzentriere mich auf die Texte neben den vielen Bildern und Exponaten.

Der Sklavenhändler und Araberführer Bushiri bin Salim al-Harthi wollte die Deutschen vertreiben, wurde aber 1889 öffentlich erhängt.

Der Sklavenhändler und Araberführer Bushiri bin Salim al-Harthi wollte die Deutschen vertreiben, wurde aber 1889 öffentlich erhängt.

Unter einem Porträt des Araberführers Bushiri wird stolz verkündet: Die von ihm geleiteten Aufstände gegen die Deutschen waren der Grund dafür, dass die Deutschen Bagamoyo verließen. Das ist Blödsinn. Grund war der ständig versandete Hafen von Bagamoyo, der das Anlegen der deutschen Dampfer an vielen Tagen schwer bis unmöglich machte. In Dar es Salaam lockte dagegen ein perfekter Naturhafen mit einem Becken aus harten Korallen.

Die wahre Geschichte des vermeintlichen Volkshelden Bushiri lautet so: Die deutschen Kolonialherren in Bagamoyo führten neue Zölle und neue Gesetze ein, konfiszierten das Land aller Araber, die keine Besitzurkunde vorweisen konnten, und verboten den Schiffsverkehr bei Nacht. Unter dem einflussreichen Bushiri bin Salim al-Harthi formierte sich 1888 eine Truppe von Arabern, die Bagamoyo überfiel und die Deutschen verjagte.

Elfenbein- und Sklavenhandel waren ein lukratives Geschäft, das unter den deutschen Kolonialherren verboten wurde.

Elfenbein- und Sklavenhandel waren ein lukratives Geschäft, das unter den deutschen Kolonialherren verboten wurde.

Nun wollte er als bezahlter Gouverneur die Küste regieren und seine eigenen Zölle erheben. Die Reaktion des von Berlin gesandten Reichskommissars Hermann von Wissmann war deutlich: Mit 600 Sudanesen und Zulus sowie 200 deutschen Matrosen stürmte er Bagamoyo. Der Widerstand blieb aus, weil sich Bushiri und seine Truppen im buschreichen Hinterland verschanzt hatten. Dort kam es zur großen Schlacht, bei der 100 Araber und zwölf deutsche Matrosen starben. Bushiri und seine Krieger entkamen. Zur Einschüchterung ließ Wissmann die deutschen Dampfer Leipzig, Möwe und Schwalbe die kleine Araberstadt Saadani niederbomben. Bushiri entkam erneut. Die Deutschen setzten ein Kopfgeld auf ihn aus. Das half. Er wurde von eigenen Leuten verraten und am 15. Dezember 1889 öffentlich erhängt.

Bagamoyo hat so viele Geschichten wie alte Häuser zu bieten. Und doch bin ich am Nachmittag mit der Besichtigung durch. Das trifft sich gut. Anstatt eine bessere Unterkunft für die nächste Nacht zu suchen, kann ich nun mein Gepäck im Vatican Guest House abholen und einen Tag früher nach Dar es Salaam aufbrechen.

Michael Scholten

Der in Kambodscha lebende Reise- und Filmjournalist Michael Scholten (TV Spielfilm, TV Today, ADAC Reisemagazin, Spiegel Online) hat bisher 123 Länder bereist. Über seine längste Reise, die ihn innerhalb von 413 Tagen in 40 Länder führte, ist das 560 Seiten starke Buch “Weltreise – Ein Tagebuch” erschienen. Es umfasst 68 Farbfotos, viele Berichte über Filmlocations in Kambodscha, Sri Lanka, Neuseeland, Panama etc. und ist für 15 Euro unter www.michaelscholten.com zu haben.