Vom interaktiven 3D bis zur Kino-Flatrate: Wie das junge Publikum für die große Leinwand wiedergewonnen werden soll.

Das Kinojahr 2008 wird eine ordentliche Bilanz aufweisen, auch wegen deutscher Produktionen wie „Keinohrhasen“ oder „Die Welle“. Aber die Konkurrenz der Bild(schirm)medien macht der Branche weiter zu schaffen: Wie zum Beispiel finden die vielen europäischen Filmproduktionen – über 900 Filme waren es allein 2007 – ihren Weg auf die Leinwand?

Bei der Frage, wie sich die Kinos im digitalen Bilderkosmos positionieren und das verloren gegangene jugendliche Publikum zurückholen wollen, zeichnen sich zwei gegensätzliche Tendenzen ab. Einerseits setzt die Industrie auf ein „neues“ Kino der großen Effekte, mit atemberaubenden Bildeinstellungen, gigantischem Sound, Wind-, Nebel-, Sprüh- und 3D-Effekten. Nach dem Vorbild der dreidimensionalen Sensorik von Disneyland versuchen vor allem die Hollywood-Studios die Zuschauer möglichst heftig durchzurütteln.

Einige bundesdeutsche Entwickler wollen nun noch weitergehen und 3D mit Interaktivität verbinden. So rüstet das Münchner Projekt „Virtual Reality Space Theatres“ Zuschauer mit sogenannten Shutter-Brillen und mit Steuergeräten aus, mit denen die Filmhandlung quasi demokratisch und gruppenweise mitbestimmt werden kann. „Social gaming“ heißt das Ganze, erste Produktionen sollen auf der Berlinale gezeigt werden. Eines lässt sich schon jetzt mit Sicherheit sagen: Der Sprung des Videospiels auf die große Leinwand ist Bestandteil einer größeren Branchenentwicklung. Die Spiele-Industrie soll mit der Kinoindustrie kurzgeschlossen werden, um neue Märkte zu gewinnen. Interessant ist, welche potenten Partner allein das Münchner „Space Theatres“-Projekt gefunden hat: das Fraunhofer Institut für digitale Medientechnologie, den Chiphersteller AMD und die Kinokette Cinestar. Sie alle wittern ein beträchtliches Geschäft.

Ein ganz anderes Marketingkonzept verfolgen die Cinemaxx-Kinos. Sie offerieren neuerdings eine Jahreskarte für 250 Euro, mit der man eine unbegrenzte Anzahl von Filmen sehen kann. Damit wird hierzulande erstmals mit einem Kinokarten-Modell experimentiert, das in Frankreich seit acht Jahren erfolgreich praktiziert wird. Dort stieg der Kinobesuch seit Einführung der Flatrate um 23 Prozent – wobei die Franzosen doppelt so häufig ins Kino gehen wie ihre westlichen Nachbarn (laut Statistik sieht sich der Durchschnitts-Deutsche im Jahr 1,5 Filme im Kino an).

In Frankreich gibt es auch noch andere Initiativen, die der Tendenz zum digitalen Effekte-Kino etwas entgegensetzen wollen. Ausgerechnet in diesem Kinoland werden das Fernsehen, Kino, Internet und Mobiltelefon bereits als vier gleichwertige „screens“ wahrgenommen, die es zu koordinieren gilt. So wurde beim Pariser „Festival des 4 écrans“ im November, das sich an Schüler und Studenten richtete, der Bildschirm als Werkzeug einer Generation verstanden, die mit dem Internet groß geworden ist und ganz andere Wahrnehmungserfahrungen hat. Den Jugendlichen stand das Foyer der Nationalbibliothek offen, bestückt mit zahllosen Computern, um Web- und Handy-Filme zu sichten und auszutauschen – mit folgender Prämierung auf der Kino-Leinwand vor großem Publikum. Ein Beispiel dafür, wie man Kino erfolgreich mit der schnellen, „kleinen“ digitalen Bilderproduktion koppeln kann, wodurch beides aufgewertet wird: der „junge“ Web-Film und das „alte“ Kino.

Die digitale Herausforderung bedeutet für das Kino in jedem Fall mehr als die Frage, wie die teuren digitalen Projektoren für die Vorführräume finanziert werden können – auch wenn sie etwa für Arthouse-Kinos zur Überlebensfrage werden kann. Wenn das Kino sich als Ort regenerieren will, wird es die neuen digitalen Bilderwelten integrieren müssen und auch das World Wide Web als Bildspender entdecken. „Upload-cinemas“ sind denkbar, also Kinos als soziale Plattform von Internet-Inhalten. Oder Kinoclubs, die web- und andere selbstproduzierte Filme vorführen und prämieren. Die Idee des Clubbing kann sich besonders in großen Städten als interessantes Konzept für die sogenannte Kundenbindung entwickeln: Das Bedürfnis, eigene Bilder einem großen Publikum zu präsentieren, ist groß.

Kinos brauchen Publikum. Wie sie jenseits von 3D und schwenkbaren Sitzen attraktiv und innovativ sein können, auch das war Thema der Jahreskonferenz von „Europa Cinemas“, dem Netzwerk europäischer Kinos. Einig war man sich vor allem bei der Diagnose: Das Kino funktioniert immer noch wie vor 50 Jahren, ein neues Kino muss also her, für eine neue, anspruchsvollere Generation – auch angesichts der Globalisierung, Individualisierung und Fragmentierung unserer Lebensverhältnisse.

Autorin: Daniela Kloock

Text erschienen im Tagesspiegel, 14.12.2008