«Im Winter ist es in einer klaren Nacht so, als wäre man
auf Drogen.Alles ist schwarz und funkelt, und man
kann ewig weit sehen,besonders die etwa zwanzig
Flugzeuge, die da gleichzeitig in LAX landen.»
Michael Mann

Michael Mann (geb. 1943 in Illinois) studierte Film in London. In L.A. schrieb er für Krimi-Serien wie Starsky & Hutch (1975) und inszenierte die Spielfilme Ein Mann kämpft allein (1978) und Der Einzelgänger (1981).

Die TV-Serie Miami Vice (1984–87) bestach mit der innovativen Mischung aus Gewalt und Eleganz, schnellen Schnitten und Popmusik. Sie machte ihn berühmt, obwohl dieser Stil schon seine Spielfilme prägte. Mann selbst wehrte sich stets gegen den «Schöpfer»-Credit von Miami Vice, für die er «nur» seine Produktionsdesigner einbrachte, die «seinen» Look fortsetzten. Sein Stil galt lange als oberflächlich, aber mit Der letzte Mohikaner (1992) erhielt Mann Anerkennung von Publikum und Kritik. Mit seinen Gangsterballaden Heat und Collateral hat Mann L.A. als moderne, zerfaserte Stadt neu erfunden und feiert diese speziell in Nachtaufnahmen als die Stadt der Lichter. Die Filme bestechen durch stark ästhetisierte wie realistische Bilder, grauhaarige Gangster bestimmen das Geschehen, das sich regelmäßig in explosiven Schießereien entlädt.

«Dieser Regisseur will die Welt fast dokumentarisch genau erforschen – und findet doch traumwandlerisch sicher ihre magischen Momente.» (Tobias Kniebe, The European)

Der Einzelgänger (1981)

«Haben Sie es jemals mit ehrlicher Arbeit versucht?», fragt Gangster Frank (James Caan) eine Gruppe Polizisten, die einen Teil seiner hart erarbeiteten Beute haben will, selbst ein Richter will seinen Anteil der kriminellen Deals.

Ex-Knackie Frank verdient sein Geld in Chicago als Autoverkäufer und als Tresorknacker – sein absolutes Spezialgebiet. Sein Wunsch ist ein bürgerliches Leben mit Haus, Frau und Kind. Dafür lässt er sich mit Syndikat-Boss Leo (Robert Prosky) auf einen letzten millionenschweren Coup in L.A. ein. Doch nach dem Gelingen der spektakulären Tat, verweigert ihm Leo die versprochenen Anteile und bringt Franks besten Freund um. Frank vertreibt seine Frau Jessie (Tuesday Weld), um sie vor Leo zu schützen. Dann jagt er sein Vorstadthaus in die Luft, zündet seinen Autofuhrpark an und richtet in einer Wohngegend unter den Mitgliedern von Leos Bande ein Blutbad an. Franks Traum vom normalen Leben ist gescheitert.

Mann schuf einen stark gestylten Edel-Sozial-Thriller. Obwohl großteils in Chicago angesiedelt, wirkt der Film wie eine Vorstudie seiner L.A.-Filme: Einleitend sieht man nächtlich-regnerische Großstadtbilder und einen Profi-Gangster bei der Arbeit, eingetaucht in den kühlen Elektrosound von Tangerine Dream. Die Szenerie erinnert an die von Vangelis’ Soundtrack verzauberte Stadtlandschaft von Blade Runner.

Mann findet großartige morbide Großstadtschauplätze, wie den Diner über einem befahrenen Highway, in dem Frank der Kellnerin Jessie einen unwiderstehlichen Macho-Heiratsantrag macht. Dieser Ort erinnert, wie die gesichtslosen Clubs, Diners, Autobahnkreuze und Vorstadthäuser mehr an vertraute L.A.-Örtlichkeiten, als an Chicago, das man fast nur aufgrund der überirdischen U-Bahn als Chicago erkennt. Auch die neonblauen Credits wirken wie aus einem modernen L.A.-Film – man mag mutmaßen, dass der Film trotz seiner unbestrittenen Qualitäten nicht die breite Anerkennung fand, da Manns moderner Stil nicht zu der archaischen Hochhaus-Architekturstadt Chicago passte. Bemerkenswert ist auch der Credit von Jerry Bruckheimer, der die L.A.-Edel-Unterweltthriller Ein Mann für gewisse Stunden und auch Beverly Hills Cop I+II produzierte. Giorgio Moroder bzw. Harold Faltermeyer sorgten hier für den Elektrosound, Popsongs unterlegen bzw. bestimmen den Stil der gestylten Filme, die stilistisch Manns «Elektro-Noir»-Stil ähneln.

Für L.A. fand Mann bei Der Einzelgänger gleich einen fantastischen Blick. Für den letzten Coup müssen Frank und seine Gang in ein Bankhochhaus eindringen. Sie stehen auf dem Dach und brechen ein Loch in die schwere Decke, während hinter ihnen das Lichtermeer funkelt. Es würde passen, dass Frank nach dem Scheitern in Chicago hierhin zurückkehrt, um wie seine Kumpanen aus Heat und Collateral als einsamer Wolf seine Arbeit zu erledigen.

Showdown in L.A. / Heat (1989/1995)

Neil McCauley (Robert De Niro) begeht mit seiner Gang spektakuläre Überfälle in Millionenhöhe. Lt. Vincent Hanna (Al Pacino) heftet sich an seine Fersen, während sie den letzten großen Coup planen. Während der Observierungsarbeit treffen sich McLaren/McCauley und Hanna in einem Diner. Sie stellen fest, dass sie viel miteinander gemeinsam haben und trennen sich wissend, dass einer beim nächsten Treffen sterben wird. In Heat sagt McCauley: «Ich mache, was ich am besten kann: Ich drehe meine Dinger. Du tust, was Du am besten kannst: Du versuchst Leute wie mich zu stoppen. Aber wenn Du mich wirklich kriegen willst, dann sei vorsichtig. Vielleicht krieg ich Dich ja.» Beide drohen sich und brauchen einander als Todfreunde.

«Schließe dich nie jemandem zu eng an, und sei jederzeit imstande, mit allem in höchstens 30 Sekunden Schluss zu machen», ist McCaulys goldene Regel, aber als er die Chance hat zu fliehen, will er entgegen des Grundsatzes noch eine persönliche Rechnung mit einem brutalen Verräter begleichen. Die Polizei hält ihn in einem Hotel als Zeugen fest, ohne zu wissen, dass er auch ein von Hanna gesuchter Serienkiller ist. McCauley spürt Waingro auf und tötet ihn. Damit erledigt er Hannas Job und begegnet Hanna ein zweites Mal: Gangster und Cop jagen über den nächtlichen LAX, während die Flugzeuge landen und starten. Nachdem Hanna McCauley tödlich getroffen hat, hält er die Hand des Sterbenden.

«Die beiden sind allein auf dieser Welt (…). Der eine ist tot, der andere nicht. Mit diesem Eindruck wollte ich enden. In dieser Landschaft, die nicht für menschliche Wesen gemacht ist.» (Michael Mann)

Mann verzichtet auf Kategorien wie Gut und Böse, es geht ihm um die unausweichlichen Folgen ihres konsequenten Handelns. Er liefert ein erschütterndes Schlussbild zweier Menschen in einer entmenschlichten Welt.

Heat ist ein Remake von Showdown in L.A., der als Pilot einer TV-Serie gedacht war. Mann hatte bereits 1979 ein 180-seitiges Drehbuch geschrieben. Der 90-minütige Film überzeugt durch eine komplexe Handlung, die nahezu mit der von Heat identisch ist. Doch in Heat erweiterte Mann die Geschichte um persönliche Episoden mit vielen Gesten, so dass eine epische Krimiballade entstand. In der Mitte der Geschichte steht der Banküberfall in Downtown, der eine wilde Straßenschießerei bietet, die bis heute noch ihres gleichen sucht. In diesem Gefecht entladen sich auch die ganzen persönlichen Emotionen der Protagonisten, die im Job Perfektion liefern können, die ihr aus dem Ruder gelaufenes Privatleben nicht bietet.

Hanna und McCauley zeigen beim ersten Zusammentreffen, bei dem Robert De Niro und Al Pacino auch das erste Mal gemeinsam vor der Kamera standen, als besessene Profis, die ihre Arbeit weit mehr als ihr gestörtes Privatleben lieben. Hanna fragt nach McCauleys Freundin: «Würdest du sie verlassen? McCauley: «Das gehört zum Spiel.» Hanna: «Ich kann nichts anderes.» «Ich auch nicht.» «Ich glaube nicht, dass ich etwas anderes will.» «Ich auch nicht.»

Mann gibt seinen ganzen Figuren komplexe Geschichten. Am Ende sucht sich Stieftochter Lauren die Badewanne von Hannas Hotelzimmer für ihren Selbstmordversuch aus und schweißt somit ihre Patchwork-Familie mit ihm als väterlichen Retter zusammen. Selbst der Fluchtfahrer des Banküberfalls bekommt seine Geschichte, die zeigt, wie er als Küchenhilfe ausgenutzt wird, weil er auf Bewährung ist. Spontan lässt er sich von McCauley, mit dem er im Knast saß, anheuern und stirbt kurze Zeit später im Bleigewitter. Eine aufwändig eingeleitete Geschichte bricht plötzlich ab – das Leben in L.A. ist oft nur kurz.

Filmkritiker Sathyan Ramesh (Steady Cam) jubilierte:

«Dies ist der riskanteste Coup eines raffinierten Gesetzlosen: ein epischer Thriller, drei Stunden lang. Besetzt mit manischen Großfürsten der Schauspielkunst. Die Vermählung von psychologischem Kammerspiel und extremem Gewaltfilm. Zu hart für’s Kunstkino, zu intelligent für Multiplexe, zu anstrengend als Entertainment und zu unterhaltend für Bildungsbürger. Heat ist der Film, auf den niemand gewartet hat, weil er eigentlich unvorstellbar ist.»

Heat beginnt im dunklen Morgengrauen, eine Metro fährt ein, wie in einer Raumstation, ein Mann überquert eine Kreuzung und stiehlt einen Krankenwagen – erst durch die Krankenwagenschrift erkennt man, dass wir in L.A. sind, während einen die Stadtatmosphäre schon längst gefangen hält. Die rund 100 Schauplätze mit dem Lichtermeer, den Freeways, Clubs, Bars, Diners, Restaurants, Bücherläden, Hochhäusern, Häusern am Hang und am Strand, Baracken, Hotels, Motels, dem LAX, dem Hafen, Raffinerien und Autokino zeigen eine vielfältige Stadt, die aus den Fugen geraten ist. Sie spiegeln auch viele Geschichten unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft wider und machen Heat zu einem der wenigen L.A.-Epen.

Manns Universum der Stilmittel ist trotz seiner Zwielichtigkeit sehr genau definiert, so wie auch sein Figurenarsenal, welches er immer weiter entwickelt hat und zueinander in Bezug stellt. So wie Heat an der Metro-Station beginnt, an der Collateral endet, endet Heat am nächtlichen LAX, auf dem Collateral beginnt.

Collateral (2004)

Bilder der Taxizentrale am LAX: Computerbildschirme, zig Geräusche lärmen, nachdem Taxifahrer Max (Jamie Foxx) sein Taxi gesäubert hat, steigt er in sein Gefährt und schließt die Tür. Es wird still, das Taxi ist eine eigene Welt.

Max ist ein penibler Mensch, er ist offensichtlich intelligent, aber unterfordert. Doch er kann sich auch nicht überwinden, seinen Taxi-«Übergangsjob» zu kündigen und mit seinem Traum eines eigenen Limousinen-Services «sein Ding zu machen»: Am Flughafen steigt für die letzte Fahrt des Tages die junge Staatsanwältin Annie (Jada Pinkett Smith) ein. Über eine Wette über die beste Strecke entwickelt sich ein Flirt, der mit der Idee eines zweiten Wiedersehens endet,

«und während sie so reden, trotz der sozialen Unterschiede auf einer Wellenlänge, spielt im Radio Musik, und als sie sagt, er könne ruhig lauter machen, schneidet Michael Mann in die Vogelperspektive, und man sieht das Taxi zum Groove durch die Nacht rollen, die Türme von Downtown L.A. funkeln, und man denkt sich, dass man noch stundenlang mit den beiden weiterfahren könnte.» (Michael Althen, FAZ.net)

Es ist Nacht und bleibt den Film über Nacht. Nachdem Annie in Downtown ausgestiegen ist, nimmt Max eine allerletzte Fahrt an. Vincent (Tom Cruise) gibt sich als Immobilienmakler aus, der schnell eine paar Termine erledigen will. Mit grauem Haar, hellgrauem Anzug, Aktenkoffer und Notebook gleicht er einem New Economy-Geschäftsmann. Er erweist sich jedoch als geschwätziger Auftragskiller, der für ein kolumbianisches Drogenkartell vier Kronzeugen und Annie als vertretende Staatsanwältin eines bevorstehenden Prozesses umbringen soll. Er nutzt Taxifahrer, um schnell von Ort zu Ort zu kommen und diese am Ende als Täter darstehen zu lassen.

Im Taxi entwickelt sich ein Psychoduell, bei dem Max immer mehr aus der Reserve gelockt wird. Als er Vincents Art übernimmt und zum Aggressor wird, kann er Annie retten und tötet Vincent im Duell in der Metro. Der Morgen bricht an.

Die Taxifahrt ist Yin und Yang, ein Rassenkampf zwischen Schwarz und Weiß, Reich und Arm. Beide sind Profis auf ihrem Gebiet, Max’ Schwäche ist die mangelnde Durchsetzungskraft, Vincents die der Überheblichkeit und Einsamkeit. Nach der ersten unsauberen Auftragserfüllung, könnte er sich ein neues Bauernopfer suchen, doch er empfindet Spaß an der Improvisation und braucht einen Zuhörer und Zeugen seiner Taten – Vincent über L.A.:

«Ehrlich gesagt, kann ich es jedes Mal kaum erwarten, wieder wegzukommen. Zu riesig, zu anonym. (…) 17 Millionen Menschen. Wäre es ein Land, hätte es die fünftgrößte Wirtschaft der Welt, und keiner kennt den anderen. Ich hab von dem Mann gelesen, der in der U-Bahn starb. Er fuhr sechs Stunden in der U-Bahn, bis jemand merkte, dass seine Leiche quer durch L.A. fuhr und daneben Leute ein- und ausstiegen.»

Am Ende wiederholt Vincent in der U-Bahn sterbend: «Ein Typ steigt in die U-Bahn und stirbt. Glaubst du, es wird jemand merken?» Vincent will wissen, ob jemand weiß, dass es ihn gegeben hat. Doch niemand kennt ihn wirklich, für seinen Job hat er sich unsichtbar gemacht.

«Das ist mein Job, davon lebe ich!», ist Vincents pragmatische Begründung für seine Morde. Er ist wie McCauly in Heat ein Profi, der eiskalt tötet, doch er ist auch ein Soziopath. Max gibt ihm nicht die Gnade, die Hanna McCauly gab, und Vincent stirbt im wahrgewordenen Albtraum einsam in der U-Bahn. Vincent liebt zu improvisieren, überschätzt sich aber tödlich in seiner Großspurigkeit, Neil stirbt, da er sich nicht an seine goldene Regel hält, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

«Tom Cruise gelingt ein präziser, sehr körperlicher Auftritt als innerlich totes Individuum, eine Bret-Easton-Ellis-Figur, die im Wesentlichen durch äußere Form und Arbeit zusammengehalten wird.» (Rüdiger Suchsland, film-dienst)

Mit der graumelierten Erscheinung hat er etwas Roboterhaftes. Vincent kämpft darum, ein Mensch zu sein, er gibt Ratschläge, philosophiert über das Leben und gibt sich als Jazz-Kenner – Max’ Vorwurf, ein Soziopath zu sein, bringt ihn aus der Fassung und er verliert das Selbstbewusstsein, das Max langsam gewinnt.

Als Taxifahrer und Killer durch die Nacht fahren und plötzlich auf zwei Kojoten mitten in der Stadt stoßen, wissen sie, wie ähnlich sie sich sind. Als Max zur geheimen Datenbeschaffung Vincents Identität übernehmen muss, gewinnt er nun vollends Vincents Selbstbewusstsein und dessen Stärke, sich durchzusetzen. Er überlebt und besiegt Vincent – Max ist die Katharsis widerfahren, ein neues Leben beginnt.

Das Originaldrehbuch sah New York als Schauplatz vor. Mann:

«Wir verlagerten die Handlung nach Los Angeles, weil diese Stadt meiner Meinung nach einfach traumhaft und magisch ist. Es ist cinematographisch die spannendste Stadt überhaupt. (…) Obwohl ich in Chicago aufgewachsen bin, hänge ich an L.A., weil sich dort Stimmungen nicht nur bestens abbilden, sondern auch erleben lassen.» (spiegel-online)

Und so zog Mann aus und fand ein L.A. zwischen Koreatown, Raffinerien in Wilmington, illegalen Clubs, hochmodernen architektonischen Strukturen. Die Fahrten durch die Nacht entwerfen die Stadt als Netzwerk, in dem zwischen den Knotenpunkten immer wieder unergründetes Niemandsland durchscheint: In dem surrealen Kernmoment muss das Taxi bremsen, Stille kehrt ein. Man sieht nur Palmen, die vom blauen Licht der urbanen Nacht umfasst werden. Dann kreuzen die Kojoten die Straße; ihre Augen glühen im Scheinwerferlicht; im nächsten Augenblick sind sie wieder verschwunden. L.A., die weite Seelenlandschaft.

Mann zeigt eine Großstadtnacht im 21. Jahrhundert, wie sie im Kino noch nicht zu sehen war. Autoscheinwerfer und Straßenlaternen erzeugen ein Neonuniversum. Mann drehte großteils auf High-Definition-Video und schuf damit eine dreidimensionale Nacht, die noch kleinste Details zeigt. Seine Bilder sind teils tiefschwarz, aber trotzdem noch konturiert. Der Showdown im dunklen Hochhaus wurde ausschließlich mit dem Licht der umliegenden Hochhäuser und Laternen Downtowns, die noch in weiter Ferne tiefenscharf zu erkennen sind, gedreht. Los Angeles wird hier zum Hauptdarsteller gemacht, vor dem die Figuren im Dunkeln als Silhouetten umherhuschen.

 

Text: Wolf Jahnke

aus: Wolf Jahnke, Los Angeles – mit Hollywood durch LA , 264 S. , viele Abb., 24,90 EUR

erschienen im Schüren Verlag

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