Regisseur Frank Castorf hat ein letztes Mal unter Volksbühnen-Intendant Frank Castorf inszeniert

 

Die ersten drei Stunden dieses Theaterabends dem Titel „Ein schwaches Herz“ sitzt man, und leidet und schwitzt und langweilt sich und ist genervt. Und dann macht’s Klick. Und man ist hingerissen und sogar etwas traurig, wenn die Chose dann – nach nur vier  Stunden pausenloser Spielzeit zu ende ist. Castorf pur also.

Ja, dieser Abend ist erstmal eine Zumutung, allerdings eine erfreuliche, zumindest für alle, die Castorfs Theater schätzen. Zum Ende seiner 25-jährigen Intendanz an der Volksbühne Berlin hat er als Regisseur noch einmal dafür gesorgt, dass man sich nicht im Schnell-Schnell oberflächlicher Effekthascherei verliert. Freilich: Man braucht Geduld dafür, muss sich einsehen und einhören wollen, Lust am Denken und Assoziieren haben.

Nach Verkaufsschlagern wie „Der Idiot“ und „Der Spieler“ hat sich Frank Castorf nochmals seinem erklärten Lieblingsautor Fjodor M. Dostojewski zugewandt. Dessen Novelle „Das schwache Herz“ steht im Zentrum des Abends, dazu Momente aus der Erzählung „Bobok“ und aus Michail Bulgakows für das Theater geschriebener, aber erst Jahrzehnte nach Bulgakows Tod in der Sowjetunion als Spielfilm herausgekommener Gesellschaftssatire „Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf“. Alle Vorlagen drehen sich um die Schwierigkeit von Menschen, zu erkennen.

Wie schon mehrfach, versucht Frank Castorf, Zuschauer und Akteure möglichst nah zueinander zu bringen. Das Publikum lümmelt mehr als dass es sitzt auf enorm großen Kissen im Zuschauerraum und auf der Bühne. Vom Bühnenhorizont bis zum Ende des Parketts, da, wo in durchaus schon luftiger Höhe die Technik sitzt, einmal quer durch also, ist schnurgerade eine Anordnung von Stühlen, Betten, Tischen, Lampen und Türen aufgereiht. An der Reihe entlang, um sie herum, wird gespielt. Das hat seinen Reiz. Man fühlt sich mittendrin. Doch genau das sorgt auch dafür, dass keinerlei Magie aufleuchten kann. Das Theater wird dadurch nämlich in gewisser Weise alltäglich und büßt an Verführungskraft ein.

Wesentlicheres Problem der Produktion: einer der Hauptdarsteller ist zwei Tage vor der Premiere ausgefallen, ein anderer hat kurzfristig übernommen und die Textbrocken natürlich nicht mehr lernen können. Drum muss die Souffleuse sozusagen mitspielen. Was dazu führt, dass die Aufführung oft unkonzentriert anmutet, zerfahren, sozusagen hingerotzt. Zugleich sorgt das allerdings auch für viele Lacher. Die, wenn bitter, passen. Zu oft aber sind es Lacher auf Grund von Kalauern. Das ist dann nur platt.

All jenen, die keine Castorf-Jünger sind, und die wohlmöglich die literarischen Vorlagen nicht kennen, dürfte Frank Castorfs letzte Volksbühnen-Novität unter seiner Regie und Intendanz nur schwer erschließbar sein. Die Videobilder des Geschehens auf einer Leinwand über allen Köpfen und gelegentliche Filmeinspielungen dazu helfen diesbezüglich wohl auch nichts. Theater für Insider? Der Vorwurf könnte erhoben werden. Jedoch: Wer Lust hat, sich auf fremdes Terrain zu begeben, gleich Castorf die Phantasie auch mal Purzelbaum schlagen zu lassen, kommt schnell hinein in den Kreis der Kenner.

Eins schwaches Herz“ bietet keine von A bis Z erzählte Geschichte, sondern Szenen-Folgen, mal kürzer, mal länger. Häufig sind das lange Monologe. Beleuchtet wird damit das Leben „überflüssiger Menschen“, wie Tschechow einen besondern Typus einmal genannt hat. Es sind Menschen, von Castorf weitgehend unsentimental betrachtet, die selbst nicht an ein Lebensglück glauben können und deshalb glücklos bleiben müssen, egal ob Schreiber im Büro oder Wissenschaftler, Einbrecher oder Hutmacherin, Schauspielerin oder Parvenü.

Das von Georg Friedrich angeführte Ensemble hat zur Premiere mit Verve und Lust gespielt. Wobei: Es werden Abnutzungserscheinungen deutlich. Kathrin Angerer hat zum x-ten Mal das laszive Püppchen variiert, Jeanne Balibar die zugleich verruchte und gern mal verzweifelte Diva, Georg Friedrich den melancholischen Irren. Da entstehen bezwingende Augenblicke. Auch macht Wiedersehen ja durchaus Freude. Doch da schlittert auch vieles, zu vieles, mal eben über eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Spiel-Material hinweg. Den richtigen Ton hat allein Frank Büttner getroffen. Als einziger der Mitwirkenden verfiel er in der Premierenaufführung nicht in naturalistisches Posieren, sondern fand eine schöne Balance zwischen somnambuler Entrücktheit, Schweben in einer Blase aus wabernden Ängsten und verschleuderten Träumen, gab eine Phantasiefigur, die durch ihre ausgestellte Künstlichkeit vortrefflich den von Castorf gegeißelten Typ „Menschlein“ charakterisiert.

Einige Zuschauer gingen vor dem Ende der Aufführung. Schade. Wer blieb, aufgeschlossen für all die Denkangebote zur Rolle des Einzelnen in einer für ihn nicht zu überschauenden Welt, dem Kern der Offerte, klatschte am Ende gern mit. Als Castorf zur Verbeugung kam, wurde klar: Sicher galt der Beifall vor allem ihm, seiner Leistung im letzten Vierteljahrhundert an diesem Theater. Da kam einem aber auch der Gedanke, dass es vielleicht ganz gut ist, wenn er sich jetzt anderswo verdingen muss. Vielleicht trifft er ja auf künstlerische Partner, die seine Erzählwut, seinen Überfluss an Einfällen, etwas zähmen. Das könnte ihm ein neues Publikum erschließen.

Am Anfang des Abends spielt ein Satz auf das Theater in Senftenberg an. Dort hat Frank Castorf seine Laufbahn einst begonnen. Vielleicht sollte er mal wieder dort vorbei schauen?! Denn das Inszenieren unter eigene Intendanz ist schon ein besonderer Luxus, der auch dazu verführen kann, zu sehr die eigene Lust zu bedienen, und die des großen, zahlenden Publikums ein wenig aus den Augen zu verlieren. Ein Luxus, den sich Theater, wie das in Senftenberg, nicht leisten können. Castorf aber könnte sich sicherlich den Luxus leisten, dort mal wieder zu arbeiten. Erstmal aber folgt er sicher der Einladung, mit der seine (vorläufig?) letzte Volksbühnen-Inszenierung endet, und in aller Ruhe eine Tasse Tee trinken.

Peter Claus

Bild ganz oben: Theater „Volksbühne“ am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte bei Nacht. Das Gebäude wurde von 1913 bis 1914 nach Plänen des Architekten Oskar Kaufmann gebaut.

Author: Ansgar Koreng

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