Rote Brüder, Ost und West

Die Indianerfilme aus der DDR und der BRD in neuen DVD-Editionen

Ganz Deutschland hatte einen roten Traum. Einen Traum von Freiheit und Gerechtigkeit. Geträumt wurde er im Kino. In Filmen mit Indianer-Helden, die mindestens so edel wie sexy waren. Wie so vieles war es ein geteilter Traum. In der Bundesrepublik dauerte dieser Traum von 1962 bis 1967. In der DDR von 1966 bis 1983.
In der Bundesrepublik entstanden in diesen Jahren elf Filme um den tapferen Häuptling der Apachen, Winnetou. Der Franzose Pierre Brice stellte ihn dar: Ein romantischer Einzelgänger, schwer beladen mit der Aufgabe, den Frieden zwischen Rot und Weiß zu bewahren, schurkische Kriegstreiber auf beiden Seiten zu bestrafen und seine weißen Freunde immer mal wieder von irgendwelchen Marterpfählen zu befreien. Brices Winnetou war ein Vorbild für die Jungs und ein Traum für die Mädchen. Damals benutzte man solche Worte nicht; jetzt würde man ihn vielleicht „metrosexuell“ nennen. Nur ein einziges Mal legte Winnetou für einen verzweifelten Kampf seinen Lederwams ab. Ansonsten war er so etwas wie ein wandelnder dress code.
In der DDR entstanden in diesen Jahren dreizehn Filme um verschiedene Führer indianischer Rebellionen, von Tecumseh bis Ulzana. Der Jugoslawe Gojko Mitic stellte sie dar und wurde zum Star, König, Halbgott in einem eigenen poetischen Raum, der von der DEFA in Jugoslawien, gefunden wurde. Auch Gojko Mitics Indianer hatten schwer an ihrer Aufgabe zu tragen, sich den ausbeuterischen Kolonialisten entgegenzustellen, die im Namen von Profit und Militarismus die Völker der amerikanischen Ureinwohner ausrotten wollten. „Ich spreche im Namen der Geborenen dieses Bodens. Im Namen der roten Völker dieses Kontinents“, sagt TECUMSEH (1972). Gojko Mitic war ein Bild athletischer Männlichkeit, und es wurde selten versäumt, seinen muskulösen Oberkörper ins rechte Licht vor der Kamera zu rücken. Dem sanften Winnetou des Pierre Brice stand mit Gojko Mitic ein kantiger, kerniger Indianer gegenüber, dem man es im Gegensatz zu seinem westlichen Pendant durchaus zutraute, eine (Ehe-) Frau glücklich zu machen und die Prärie mit indianischem Nachwuchs zu versorgen.

Pierre Brice als Winnetou war ein Phantasie-Indianer im etwas ideologisch entschärften Traum-Reich des Karl May. Von den Verpflichtungen historischer Authentizität war er weitgehend entbunden. Gojko Mitics Indianer dagegen bewegten sich in einem historischen Raum, in dem nicht nur die Details stimmten, sondern auch die große Linie passend gemacht war. Dafür sorgte schon die Historikerin und Schriftstellerin Lieselotte Weilskopf-Henrich, die für viele der literarischen Vorlagen zuständig war. Seltsamerweise aber hatten beide Indianer sehr ähnliche Feinde. Goldgierige Landräuber, korrupte Politiker, Banker und rücksichtslose Militärs; kurzum: der rote Traum hatte auf beiden Seiten Deutschlands einen Kern des mehr oder weniger romantischen Anti-Kapitalismus. Die Yankees waren die Bösen, hüben wie drüben. Amerika, so war eine Botschaft der Indianerfilme Ost und West, war eigentlich viel zu schön, um es den Amerikanern zu überlassen.

Die Karl May-Western in der BRD waren aufwendig und actionreich; sogar im Mutterland des Western, in den USA bekam man dafür anerkennende Rezensionen. Insbesondere der Regisseur Harald Reinl verstand es, die Attraktionen der klassischen Western mit deutschem Biedersinn und Humor zu verbinden. Und wer bei Winnetous Tod nicht geheult hat, muss ein Herz aus Stein haben. (Und wem die Filme nicht auch ein bisschen peinlich waren, der muss seinen cineastischen Verstand verloren haben.) Die bundesdeutschen Karl May-Filme, auch wenn andere Regisseure, wie Alfred Vohrer die Inszenierung übernahmen, waren eine Serie wie aus einem Guss. Man wusste, dass sich im sehnsüchtig erwarteten nächsten Film der Serie die gleichen Helden in der gleichen Landschaft mit den gleichen Klamotten und gegen die gleichen Gefahren bewegen würden. Bei den DEFA-Indianerfilmen blieb nur der Hauptdarsteller und die noble Erzählabsicht gleich. Ansonsten wechselten nicht nur die historischen Hintergründe, die einzelnen Regisseure der ebenso sehnsüchtig erwarteten Filme hatten durchaus ihren eigenen Touch bewahrt. Und manchmal mussten sie auch ein bisschen zaubern, denn an solche Budgets wie im Westen war nicht zu denken. In den westdeutschen Karl May-Filmen kann man den Ehrgeiz bewundern, Hollywood mit den eigenen Mitteln zu schlagen. In den Indianerfilmen der DDR kann man die Liebe zum Handwerk bewundern, mit der es Regisseure wie Konrad Petzold, Hans Kratzert oder Gottfried Kolditz verstanden, mit einfacheren Mitteln die größtmögliche cineastische Wirkung herauszuholen. Der rote Kino-Traum mochte sich zwischen Ost und West deutlich unterschieden haben, was die Technik, die Ideologie und vielleicht auch die erotische Aura anbelangt, in einem waren sie einander sehr ähnlich: Sie zeigen auf ganz direkte Weise den großen Spaß, den die Beteiligten an ihrem Indianerspiel hatten. Götz George, einer der Gast-Stars in der Serie der Winnetou-Filme, brachte es damals auf einen einfachen Nenner: „Meine Kindheit war schon mit Arbeit und Sorgen belastet, so wurden die Karl May-Filme zur Gelegenheit, meine verlorene Kindheit nachzuholen“. Das gilt vermutlich nicht nur für viele Menschen auf der Seite der Produktion, sondern auch für den älteren Teil des Publikums. Vielleicht sogar für den ganzen gemeinsamen, getrennten roten Kino-Traum.

Aber während Winnetou unaufhaltsam auf sein Ende in den Armen seines weißen Blutsbruders zugaloppierte, bot Gojko Mitic in seinen Filmen weiterhin abenteuerlichen Geschichtsunterricht. Filme wie SPUR DER FALKEN (1968), WEISSE WÖLFE (1969), BLUTSBRÜDER (1975) oder DER SCOUT (1983) zeichneten historische Ereignisse nach, und in OSCEOLA (1971), TECUMSEH (1972), APACHEN (1973) und ULZANA (1974) sind die Helden selbst historische Persönlichkeiten. Während man in der BRD stolz darauf war, nun seine eigenen „Western“ drehen zu können, wurde der Begriff in der DDR peinlich vermieden. Man nannte die populären DEFA-Produktionen stattdessen „historische Abenteuerfilme im Milieu der Indianer“. Und die historischen Bilder sollten durchaus auch Lehren für die Gegenwart bieten.

OSCEOLA von Konrad Petzold zum Beispiel beschreibt eine sehr klassische Situation. Nicht nur geht es um die Auseinandersetzungen zwischen den Baumwoll – Großfarmern und den Seminolen, sondern auch um die entflohenen Arbeitskräfte, die schwarzen Sklaven, die bei den rebellischen Indianern Zuflucht finden. Die einen heißt es da, wollen ihren Profit vermehren, die anderen ihre Rechte verteidigen. So einfach war die Welt in den DEFA-Filmen – aber sie war immer noch wesentlich komplizierter als in den westdeutschen Karl May-Filmen. Die brachte der amerikanische Kritiker Ralph E. Friar auf die einfache Formel: „Deutschland über Alles in Apachen Land“.

Autor: Georg Seeßlen