Das Schweben

Die Prozession der Tänzer zieht, begleitet von der Musik, wie einer jener Züge durch New Orleans: So geleiten sie dort ihre Toten zu Grabe, mit einer gleichsam kräftigen Trauer. Und so halten sie es in Wuppertal mit Pina Bausch.

Wim Wenders wollte diesen Film mit Pina Bausch machen. Nachdem eine der einflussreichsten Choreografinnen des internationalen Tanztheaters dann 2009 überraschend verstarb, wurde es ein Film über sie, eine Hommage. Und es fügte sich trefflich, dass der Film über die Künstlerin, die immer wieder die Möglichkeiten des körperlichen Ausdruckes neu erkundet hatte in eine Zeit fiel, da ein Künstler die Möglichkeiten des 3D-Filmes erkunden wollte. So wird diese Hommage an Pina Bausch immer verbunden bleiben mit dem Ruhm des ersten Filmes, der die Möglichkeiten des dreidimensionalen Kinos nutzt für eine künstlerische Darstellung. James Cameron war mit seinem wunderbaren Avatar der wirkliche Pionier dieser Technik, Wim Wenders führt sie in die Kunst.

Dieser Film hat drei Ebenen: Die aufgezeichneten Ausschnitte der Inszenierungen, das Erobern des Stadtraumes durch die Tänzer und ihre Statements. Diese allerdings bewegen sich am Rande der Hagiografie und haben auf Dauer etwas Ermüdendes, als repitiere jemand ständig die Top -Ten-Sätze des Kleinen Prinzen. Das ist wohl der Situation geschuldet, der Film war auch für das Ensemble eine Art konzentrierter Abschied von der Frau, deren Persönlichkeit sie alle geformt hat.

Das Eigentliche aber sind die Aufnahmen auf der Wuppertaler Bühne. Das ist spektakulär, so eindrucksvoll hat man Tanz noch nicht gesehen. So hat man Tanz überhaupt noch nicht gesehen. Denn was Wenders hier gelingt, das ist nicht einfach eine Dokumentation des Geschehens auf der Bühne, es ist etwas Eigenes, etwas Neues, wie dieser Film auch einen beträchtlichen Eigenwert gewinnt.

Die Bühne auf der dreidimensional wirkenden Leinwand, das ist nicht einfach die Illusion des Theaters, es ist, nach Bühne und Kino, tatsächlich so etwas wie eine dritte Dimension. Diese Technik bringt die Tänzer gleichsam zum Schweben im Raum. Denn das Raumempfinden ist im Abbild der Leinwand etwas vollkommen anderes als im tatsächlichen Raum der Bühne. Ein reales Dokument und schafft dennoch eine Art von neuer ästhetischer Wirklichkeit, Wirklichkeit abbildend und neu erschaffend in einem. Das wunderbar Verstörende dieses Effektes ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass wir hier, anders als in Avatar, wirkliche Menschen in wirklichen Umständen erleben und das in einer technisch vermittelten Ästhetik, die uns heute noch so unwirklich erscheint.

Pina Bausch arbeitete gerne mit den Elementen auf der Bühne. Erde, Wasser, Stein, das erzeugt immer einen spannenden ästhetischen Kontrast zwischen der artifiziellen Bühne und den materiellen Zitaten der Wirklichkeit. Faszinierend hier die Energie des Frühlingsopfers, wenn die Tänzer ihre Impulse aus der Erde zu gewinnen scheinen. Wenn die Tänzer die Stadt erkunden, dann kehrt sich das um, dann kommt das Artifizielle in das Wirkliche. Das wirkt mitunter etwas verspielt-selbstverliebt. Wenn aber zwei Tänzer auf einer Wiese in ein Bühnenmodell von Cafe Müller schauen und sich dann in dieser Puppenkiste tatsächlich tanzen sehen, dann ist das so faszinierend wie berührend.


In diesem Film haben wir ein Stück Zukunft des Arthouse-Kinos gesehen. In einigen Jahren wird das eine Selbstverständlichkeit sein, jetzt ist es eine spektakuläre Pioniertat.

Text: Henryk Goldberg

Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 02.03.2011

Bilder: NFP