Das Wappen im Schild

Wie man Geschichte im milden Licht verklärt

Manchmal, scheint es, ist Ullrich Tukur für Augenblicke allein mit Dietrich Bonhoeffer. Ein leises Zögern hat er dann, eine Skepsis um den Mund und einen Zweifel in den Augen. Das sind die Momente, in denen uns eine Ahnung überkommt, worum es hier gehen könnte: Um einen Menschen, der Größe hatte, als andere die Macht hatten, einem Menschen, der außer einem Beispiel auch Gedanken hinterließ. Dann aber wird der Schauspieler Ullrich Tukur wieder in seinen Film gezwungen, dann verschwindet der Mensch Dietrich Bonhoeffer. Er verschwindet als Wappen des glänzenden Schildes, den die Kirche hier errichtet vor ihrer Geschichte.

Seit dem vergangenen Jahr erinnert eine Tafel in Buchenwald an den Theologen und Widerständler Dietrich Bonhoeffer, der, 1906 geboren, im letzten Monat des Krieges hingerichtet wurde. Bonhoeffer, neben seiner Einbindung in den Widerstandskreis um Admiral Canaris, war ein Gläubiger, der seinen Gott bekannte gegen seine Kirche, ein Protestant, der die lutherische Zweiteilung der Welt nicht hinzunehmen gewillt war, wenn das irdische Reich das der Barbaren war. Ein Theologe, der der Bekennenden, Gott bekennenden, Kirche angehörte, der die Barmer Erklärung von 1934 mit trug, der die »Deutschen Christen« und ihre Nähe zum Nationalsozialismus, zu »Rasse und Volkstum« als Häresie begriff.

Dieser Mann kommt nicht vor in diesem Film.

»Bonhoeffer – Die letzte Stufe« ist ein Fernsehfilm und eine deutsch-amerikanisch-kanadische Koproduktion, gedreht in Englisch. Die Orientierung auf die Versatzstücke, die den nordamerikanischen Kulturkreis bedienen, ist der Arbeit des Kanadiers Eric Till ebenso deutlich eingeschrieben wie die Mitfinanzierung durch evangelische Kirchen. Das eine ist ästhetisch fatal, das andere historisch. Denn so wird die Auseinandersetzung des Pfarrers mit seiner eigenen Kirche, ohne die er nicht begreiflich ist, verschwiegen, so nutzt die Kirche Bonhoeffer, um ihre Geschichte dahinter zu verbergen, wie die Franzosen Vichy verbargen hinter der Resistance. Und, als wäre es ein Alibi, wird der einer oder andere Satz Bonhoeffers mit verteilten Rollen gesprochen. »Es ist schlimmer, böse zu sein, als Böses zu tun«. Das siebzehnjährige Mädchen liest, unverstanden, aus dem Manuskript auf Bonhoeffers Tisch. Es bleibt ein leerer Satz im Munde eines blonden Mädchens und ist doch etwas Fundamentales: Es heißt, es könne einer Böses tun, ein Attentat etwa, ohne böse zu sein. Es ist ein Satz, von dem ein Weg zur »Theologie der Befreiung« führt. Und es ist ein Satz, der das Resultat einer inneren Auseinandersetzung des Christen ist, ein Satz, der am Ende des Ringens um einen Gottesbegriff steht.

Das ist, wie vieles, neben der historischen Wahrhaftigkeit auch ein Problem der dramatischen Zweckmäßigkeit. Denn auch ein exzellenter Schauspieler wie Tukur benötigt einen Konflikt, damit er etwas zu spielen, etwas zu gestalten hat. Dietrich Bonhoeffer ist, kein Zweifel, ein Mann, der sich das Recht auf ein Denkmal erworben hat. Aber ein Denkmal, wenn es nicht statuarisch erstarren soll, entwickelt sich aus Geschichte und Bewegung, aus Konflikt und Bewältigung.

Ästhetisch ist dies ein mittlerer Fernsehfilm, plan und naiv, ohne den Hauch einer suggestiven Kraft. Und, in Betracht seiner Unterschlagungen, womöglich nicht einmal gut gemeint. 

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben 2000

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine