Auf das Überleben! Wes Andersons Familienkino und sein neuer Film „Der fantastische Mr. Fox“

Wes Anderson hat Roald Dahls Kinderbuchklassiker um Mr. Fox verfilmt, jenen charismatischen und doch auch patriarchalen Familienvater, der mit seiner Eigenwilligkeit seine Umgebung fast in den Abgrund stürzt. Und hat die Geschichte des Fuchses, der es noch einmal wissen will, ganz altmodisch als Puppentrick in Stop-Motion in Szene gesetzt.

Bei Roald Dahl geht es schnell zur Sache. Von Anfang an ist sein Mr. Fox verheiratet und wird auch gleich einschlägig aktiv. Er bestiehlt die drei Bauern Grimm und Grob und Gräulich – „Sind die nicht abscheulich? Einer dürr und lang wie ’ne Bohnenstang, einer fett und einer klein, alle drei sind ganz gemein!“ Dann wird er in den Hinterhalt gelockt, büßt im Kugelhagel seinen Schwanz ein und muss seine Familie im belagerten Fuchsbau beschützen. Wes Andersons Puppentrickfilm-Adaption, die er zusammen mit Noah Baumbach geschrieben hat, lässt sich mehr Zeit, um zu zeigen, was ihr wichtig ist. Der fantastische Mr. Fox entwirft sich, indem er Farbe sowie seinen Ursprung bekennt und sich damit selbst als etwas anders situiert.

Das sieht erst mal so aus: Bis es ernst wird und die drei Bauern mit Gewehren, dann Schaufeln und schließlich Baggern anrücken, ist dies ein gelber Film. Das Gelb leuchtet warm, es ist ein Spätsommernachmittagsfeld-Gelb, beinahe -Orange, durch das Mr. Fox und Felicity (die spätere Mrs. Fox) einen Spaziergang unternehmen, um sich zwar noch etwas schüchtern, aber schon mit den flotten Pingpong-Dialogen einer Screwball Comedy über die Schönheit der Gegend zu unterhalten. Die warme Farbe passt hervorragend zu ihrem Baumwollkleid und seiner Kombination aus Cordanzug und offenem Frotteehemd – und beißt sich trotz der romantischen Bilderbuchatmosphäre nicht im Mindesten mit dem Tempo, das schon hier vorgegeben wird. Das gleiche Gelb war zuvor schon der Hintergrund, vor dem Roald Dahls Buch, „The Fantastic Mr. Fox“, in die Kamera gehalten worden war. Dass es unten links das Etikett einer Bücherei trägt, ist nur ein Detail, aber, klar, nicht unwichtig.

Die Leihbibliothek signalisiert sofort das Gegenteil privaten Eigentums. Das gehört allen, die es haben wollen. Es wird meins für eine Zeit, dann gebe ich es weiter, und keiner der anderen wird je wissen, was es mir bedeutet hat. Das Büchereibuch ist auf Gemeinschaft aus, so wie alle Wes-Anderson-Filme von einer bestimmten Gemeinschaft, von Familie handeln. Halt, nein, das stimmt so nicht: Es geht zwar um Familie, aber das muss kurz erklärt werden.

Die Figuren in Wes-Anderson-Filmen ringen mit ihren Familien: Bottle Rocket (1996), Rushmore (1998), The Royal Tenenbaums (2001), The Life Aquatic with Steve Zissou (Die Tiefseetaucher, 2004) und The Darjeeling Limited (2007) sind rumpelkammervoll mit Familiengeschichten, mit aus- und zueinanderstrebenden Geschwistern, mit an- und abwesenden oder verleugneten Eltern und vor allem mit Erinnerungen, die so präsent bleiben, als hätte sie Owen Wilson im Abteil des legendären Zuges Darjeeling Limited mit seinem Laminiergerät eingeschweißt. Der Punkt ist nur, dass dazu immer auch Orte und Freunde gehören. Familie ist nie nur Verwandtschaft; sie ist das, wo ich herkomme, was ich mitnehme und zu dem ich, ob ich will oder nicht, ein eigenes Verhältnis entwickeln muss. Darum ist es nur gut, dass auch diese Filme selbst Familienproduktionen sind, mit immer wieder denselben Leuten.

Was ist hier der Subtext?

Zur Wes-Anderson-Familie gehören unter anderem Produzent Scott Rudin, Koautor Noah Baumbach (Greenberg) und neben dem Koautor (von Bottle Rocket bis zu den Tenenbaums), Produzent und Schauspieler Owen Wilson natürlich auch noch Jason Schwartzman, Bill Murray und Wes’ jüngerer Bruder Eric, die alle auch als Stimmen in der US-Fassung von Der fantastische Mr. Fox mitwirken. Owens Bruder Luke fehlt zwar diesmal, dafür grüßen in kleinen Auftritten Brian Cox aus Rushmore und Adrien Brody aus Darjeeling Limited.

Durch sie alle wird Dahls Stoff wunderbar anverwandelt. Die vier Jungfüchse im Buch reduzieren sich auf den pubertären Ash, der mit einem Superheldenhandtuchumhang um die mangelnde Aufmerksamkeit seines Vaters ringt: „Dad, bin ich ein Athlet?” – „Äh, was ist hier der Subtext?” Das Innenleben der Fox-Familie, die nicht nur um Ashs Konkurrenten und kampfsportbewährten Cousin Kristofferson, sondern auch um Kylie, ein zu leicht zu verwirrendes Opossum, erweitert wird, spielt hier eine viel größere Rolle als bei Dahls Vorlage.

So ist es nur konsequent, wenn die Neigung der Anderson-Familie zu Querschnitten und Übersichtsplänen (ob vom Rushmore-Schulgelände, vom Tenenbaum-Haus in der Archer Avenue oder von der „Belafonte”, dem Schiff des Team Zissou) hier den vorläufigen Höhepunkt erreicht: Zum einen, weil Querschnitte perfekt sind für ein Offenlegen von Vielfalt, von Verbindungen, Trennungen – schlicht von Beziehungen neben-, über- und untereinander. Zum anderen, weil die Geschichte des Mr. Fox im Grunde (also bei Dahl) von den gegrabenen Gängen handelt, mit denen der smarte Fuchs der Belagerung seiner Feinde Grimm, Grob und Gräulich entkommt, um deren Farmen weiter auszurauben und seine Familie zu retten. Und zum dritten, weil die Arbeit mit Puppen einfach viel mehr an solchen belebten Schemata erlaubt.

Eine eigene Welt zu erfinden, auch wenn sie von einer berühmten Vorlage inspiriert ist, dafür ist der Puppentrickfilm das ideale Genre. Hier muss jeder Kluten Erde und blöde Batzen Lehm erst mal gebaut werden und für die Kamera existieren. Die kleinste Bewegung, jeder Faltenwurf will gemacht sein; nichts ergibt sich von selbst. Weil hier also Bewegungen von der Kamera keineswegs festgehalten, sondern erst Bild für Bild erzeugt werden, ist das uralte Genre des Puppentrickfilms zugleich das vielleicht beste Beispiel für das schöpferische Prinzip des Films oder zumindest für einen Teil seines Wesens: Der Film als Bewegtbild, als motion picture, war und ist ein einziger großer Spezialeffekt, eine Technik und Kunst verbindende Konstruktion von Leben. Und genau deshalb könnte es fast kein besseres Genre für ein Wes-Anderson-Movie geben.

Kino als Lebensraum

Mit ihrer offensichtlichen (und von manchen als ästhetizistisch kritisierten) Konstruiertheit sind die Filme der Anderson-Familie eine sehr selbstbewusste Feier des Kinos als eigener Lebensraum. In den Anderson-Welten geht es immer wieder um das nicht endende Erwachsenwerden; jede und jeder hier muss sich kennenlernen, muss konkret werden und dabei auch noch mit den anderen klarkommen. Das gilt für den Großvater Royal Tenenbaum ebenso wie für den (noch) kleinen Fuchs Ash. Das Großartige und Berührende an diesen Filmen ist die daraus entspringende Verbindung von Einfachheit und Übersichtlichkeit mit einer Komplexität, der wir nicht entkommen können.

Einfach sind die Anderson-Filme, weil sie sehr überschaubare Welten bauen – darum sind Querschnitte und Übersichtspläne so wichtig. Hier werden die Lebensräume klar skizziert, in denen es dann kompliziert wird, weil sie voll sind von Individuen. In Der fantastische Mr. Fox werden einige Übersichten von Mrs. Fox gemalt, was ein weiterer Schachzug ist, die Fixierung des Dahl-Buchs auf den männlichen Helden in alle möglichen Richtungen auszuweiten. Die Betonung des Familiären wird noch insofern gesteigert, als jene Bilder – so jedenfalls sehen sie aus – von Eric Anderson gemalt worden sind.

Hier, wo für den Trickfilm alles erfunden, gebaut, angemalt und bewegt werden muss, beweist die Detailliebe der Anderson-Familie noch einmal ihre Idee: das haargenaue Auskleiden noch der kleinsten Winkel für eine Welt, die so in sich geschlossen ist wie auch gerade deswegen offen für Projektionen meiner eigenen Geschichte. Dass die­se Offenheit selbst dort Platz hat, wo Gags um preisreduzierte Banditenhüte, Schmetter-Krachen-Spielregeln, vergiftete Blaubeeren und Wach-Beagles („Denk daran, sie sind überhaupt nicht schlau, aber dafür unglaublich paranoid!”) den in sich schon beglückenden Rhythmus einer aberwitzigen Familien-Capermovie-Komödie bilden, ist das Geheimnis. So kommt auch eine Kinderbuchwelt wie diese zu einer Vertracktheit, die dem Erwachsenwerden die irren Züge, das Schöne und auch das Ungerechte lässt.

Leben in Gegen-Orten

Tatsächlich spitzt sich ausgerechnet in diesem komplett kindgerechten Film die Kraft der Anderson-Filme zu, besondere und erst noch zu verstehende Gegen-Orte innerhalb uns bekannt erscheinender Welten und Klischees zu bauen. Von Max Fishers Vision und Erfüllung der Rushmore-Academy über das Schiff „Belafonte” als schwimmende Heimat des Team Zissou, die Tenenbaum-Residenz und den ganzen Darjeeling-Limited-Zug bis zu den unterirdischen Bauten und Gängen der Familie Fox: Sie alle sind Heterotopien, sind Orte, die aus sich selber leben und damit auch kleine Analogien zum Kino selbst bilden, in denen es absurd, schön, außergewöhnlich, banal, verrückt, komisch, traurig, tragisch und vor allem schwierig wird.

Darum gibt es in allen Anderson-Filmen diese Momente, in denen sich zwei oder mehr einander endlich öffnen, ohne dass dabei schon das Glück angeflogen kommt. Er habe niemals irgendeinen von ihnen verstanden, sagt Royal Tenenbaum am Ende zu seinem Sohn Ritchie, um dann auf dessen „Ist okay” mit „Nein, ist es nicht” zu antworten. Dieser Moment kommt in Der fantastische Mr. Fox spätestens, wenn der Titelheld kurz vor dem Finale Mrs. Fox seine aufrichtige Liebe gesteht und sie in der Umarmung ernst entgegnet: „Ich liebe dich auch. Aber ich hätte dich nicht heiraten sollen.”

Gesinnung und Rhetorik allein sind zu gar nichts gut, und Selbsterkenntnis ist zwar klasse, ändert aber nichts. Jedenfalls nicht sofort, denn im versponnenen Materialismus des Anderson-Clans kommt es immer darauf an, was wir tun. Vielleicht geht es letztlich einfach um diese Bewegung: Um den Versuch, aus der Erkenntnis, was mich ausmacht und zwischen uns ist, immer etwas Neues anzufangen. Dann gilt der Trinkspruch der Fox-Familie am Ende ebenso für uns, auch wenn wir nicht von bekloppten Bauern belagert werden: auf das Überleben!

Autor: Jan Distelmeyer

erschienen in epd Film, 05/2010

Bild und Trailer: 20th Century Fox