Aus Angst vor Verrissen hatte Warner Brothers ihre Kinoversion der britischen Fernsehserie Mit Schirm, Charme und Melone den Kritikern erst gar nicht vorab gezeigt. „Die Presse und die Zuschauer“, so die offizielle Direktive des Konzerns, „sollen den Film gemeinsam entdecken.“ So erlebten US-Kritiker und -Publikum ihre Enttäuschung am selben Tag, was das 60-Millionen-Dollar-Projekt trotzdem nicht vor dem befürchteten Flop bewahrte. Auch hierzulande gab es zunächst allein den Trailer zu sehen, bis drei Tage vor dem Bundesstart dann doch eine Pressevorführung angesetzt wurde.

Die größte Überraschung war dabei jedoch, daß es dann doch gar keiner Präsentation des ganzen Films bedurft hätte: Denn Jeremiah Chechicks Mit Schirm, Charme und Melone wirkt von Anfang bis Ende wie eine Aneinanderreihung einzelner Szenen, die jede für sich genommen hervorragend als Trailer zum Film funktionieren. Eine 85minütige Montage von Ausschnitten zu einem Film, der insgesamt mit allen üblichen Ruhepausen und Zwischentönen mindestens vier Stunden dauern müßte.

Schon in der Auftaktsequenz springen wir mit John Steed (Ralph Fiennes) in seine erste Handvoll Kämpfe, die sich natürlich als das Training des britischen Spezialagenten mit Schirm, Maßanzug und Bowler entpuppen. Dem schließt sich in rascher Folge die Einweisung von Oben ins neue Abenteuer und das erste Treffen mit seiner zukünftigen Partnerin Emma Peel (Uma Thurman) an. Keine Szene ohne geistreich-raschen Wortwitz, wenn möglich mit einer Tasse Tee, wobei der Rhythmus der Bilder und Sentenzen der Warnung von Steeds Vorgesetztem namens „Mutter“(!) zu folgen scheint: „Die Zeit rennt uns davon, Steed!“

Damit steht die Hollywood-Version jener Fernsehserie, die mit dem Präfix „Kult“ so untrennbar verbunden ist wie mit der genießerischen Unaufgeregtheit ihres Stars Patrick Macnee, geradezu spiegelverkehrt gegenüber. Immerhin hatte die Serie gerade von der Ruhe des Rituals und der konservativ anmutenden Souveränität gelebt, in die das Verbrechen allwöchentlich gemächlich Einzug hielt. Gerade über den Gegensatz zwischen dem überbetont traditionellen Club-Briten Steed und der androgyn-forschen, selbstbewußten und karatebewährten Moderne-Ikone Emma Peel (Diana Rigg) hatte das TV-Ereignis der 60er Jahre ein Gutteil seiner Faszination entwickelt. Hektik war, wenn überhaupt, nur wenigen Momenten des jeweiligen Finales vorbehalten. In der Kinoversion ist sie das verbindende Element.

Die gezielte Betonung des seriellen Charakters, bei dem die Form immer wichtiger als der Inhalt war, hatte bei Macnee und Rigg den konkreten Fall in aller Regel eine Nebenrolle spielen lassen. Zumindest das vereint Film und Serie, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Daß der schottische Wettermanipulator August de Wynter (Sean Connery) die Welt mit künstlich erzeugten Tornados erpreßt, bleibt hier genaugenommen nichts als ein Anlaß im doppelten Sinne. Um ihn zu stoppen, kommen Steed und Peel zusammen, und das de Wyntersche Arrangement der Wetter-Erpressung bietet reichlich Raum für ein phantasievoll überbordendes Design. Zum heimlichen Höhepunkt wird da die Genugtuung, Sean Connery nach all den Jahren endlich in seinem langverdienten Teddybärkostüm bewundern zu dürfen. In diesem Moment besitzt Mit Schirm, Charme und Melone eine fast surreale Komik, die der Zeichenhaftigkeit des Films neue Möglichkeiten eröffnet.

Doch obwohl hier alles als bloße Form zurücktritt, entsteht gleichwohl kein Raum, den die beiden Hauptfiguren zur Profilierung nützen könnten. Symptomatisch für diese fehlende Präsenz ist die Verdoppelung von Uma Thurman, die als Zwilling sowohl an der Seite von Steed als auch an der de Wynters kämpfen muß und trotzdem kaum einen bleibenden Eindruck hinterläßt. Ihre Emma Peel bleibt wie auch Ralph Fiennes‘ Steed nicht Zitat, sondern bloße Behauptung und – wie alles in diesem Film – Oberfläche. „Mutters“ Warnung im Ohr korrespondiert dies auf bemerkenswerte Weise mit der knappen Zeit, und so könnten schließlich Zeitnot und Behauptung, die Grundlagen jedes Werbefilms, ein anderes Licht auf Mit Schirm, Charme und Melone werfen: Vielleicht sollte man die Kinoversion tatsächlich als den ambitionierten Versuch eines überdimensionalen, millionenschweren Trailers betrachten.

Autor: Jan Distelmeyer

Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 07/ 98