Spunweite

Jonas Åkerlunds Kinodebüt ist der neueste Versuch, Film und Drogen zusammenzubringen

Kann alles sein, „Based on Truth and on Lies“, und geht sofort los, als ob irgendwas hinter irgendwem her ist. Blenden schließen sich wie Fahrstuhltüren, hinter denen die Fahrt auf der Bild- und Tonspur erst richtig beginnt. „Hysterie“, könnte einem zum Zoom- und Schwenkterror der 16mm-Kamera einfallen, wenn man genug Zeit zum Überlegen hätte.

Das würde auch passen zu dem irren Gezappel, mit dem Spider Mike (John Leguizamo) da gerade seine Bude auf den Kopf stellt, um sein „Zeug“ zu finden, während unser Mann, Ross (Jason Schwartzmann), auf dem Sofa seine Sinne im Zaum zu halten versucht.

Um was für Zeug es in Spun geht, hatte uns Ross in seinem Prolog erklärt: „Nenn es Speed, Dope, Meth, Crystal, Ice, Zip, Tweed, egal wie du es nennst, es sind Methamphetamine. Deswegen bin ich hier.“ Die Fahrstuhltür geht zu.

„Die starke illusionäre Kraft des Films macht seine Gefährlichkeit aus. Die technischen Möglichkeiten, die er heute hat, lassen ihn den Abstand zwischen Bild und Wirklichkeit überspielen. (…) Nichts ist darum schlimmer, als wenn ein Film die Fassungskraft der jungen Leute übersteigt oder aber von sich aus ein falsch gestimmtes Bild der Wirklichkeit vermittelt.“ Über mehrere Seiten zog sich diese Mahnung vor dem Realitätsverlust hin, die 1960 unter dem Titel „Die jungen Leute und der Film“ in der Illustrierten „Westermanns Monatshefte“ erschienen war. Mahnfaktor Rausch: „Im Bannkreis der lebendigen Bilder.“

Als Sprachrohr der traditionellen kulturpessimistischen Medien- und Kulturkritik hatte der Autor damit eine Qualität an die Wand gemalt, die nicht nur „junge Leute“ von je her mit Filmen verbinden: Das Kino als Droge — nicht nur verstanden als Abhängigkeit und Sucht (jeder Fan weiß, wie das läuft), sondern vor allem im Sinne der umsorgten „Fassungskraft“. Als hochwirksamer Stoff verändern Filme unsere Selbst- und Weltwahrnehmung. Bei guter Ware wirkt der Trip / die Bewusstseinserweiterung weit über das Ende der Projektion hinaus. Filme können uns mit Macht näher zu uns selbst oder weiter von uns fort bringen als je zuvor, und eben dieser Drogencharakter macht Filme über Drogen so interessant.

Jonas Åkerlunds Kinodebüt Spun ist der neueste Versuch, beides zusammenzubringen. Weil der 38-jährige Åkerlund als Musikvideo-Regisseur für Moby, Cardigans, U2, Metallica und Madonna bereits einen Namen hat, darf man in puncto Style und Tempo einiges erwarten. So sei es: Obwohl sein Film mit dem Weg von Ross zu seinem Dealer im Norden von L. A. beginnt, wartet Spun nicht auf den Rausch, den sich sein Protagonist verschaffen will. Bild und Ton sind wie die Welt, die sie einfangen, längst drauf, und das Schniefen der begehrten Kristalle hält die ästhetische Gemengelage in Form. Alles geht zu rasch und zu langsam zugleich; assoziative Inserts schneiden eine verklebte Zeit ab, bewegte Comicbilder dehnen fließend eine innere Hektik. Nichts passiert, und das geht ungeheuer schnell.

Jason Schwartzman, der seine Präsenz des Nicht-ganz-Dazugehörens aus Rushmore in diese andere Welt überführt hat, eiert als leichenblasser Fingernägelkauer zwischen einer Gruppe ausgesucht skurriler Typen umher. Da ist Spider Mikes Freundin Cookie (Mena Suvari), die in ihrem Kinderschlafanzug mit Hündchenpantoffeln zur Speed-Vesper schlurft, und ihre Freundin Nikki (Brittany Murphy), dank der wir dann zum Drogenpaten „the Cook“ (Mickey Rourke) driften.

Driften aber heißt hier eigentlich Tuckern, weil wir in Ross‘ kotbraunem Uralt-Volvo unterwegs sind. Und Mickey Rourke ist kein Pate, sondern ein speckiger Cowboykoch, dessen vorangeschrittene Lebenszeit – „Er kocht den Scheiß!“ – beim unablässigen Brutzeln synthetischer Drogen in einem Motelzimmer draufgeht. Egal, schließlich sind auch die Bullen (Alexis Arquette und Peter Storemare) permanent high, die gerade ihre täppische Razzia im Junkie-Milieu als Show an die Reality-TV-Serie „Bust“ verkaufen wollen. Spun macht mit, und präsentiert ihren nächsten, komplett vertrottelten Einsatz gegen Spider Mike als „Starsky & Hutch“-Vorspann.

Überhaupt will Åkerlunds Film dabei bleiben, will wie Ross und „the Cook“ 11, 12 oder 13 Tage ohne Schlaf auskommen. Damit verweigert Spun, ähnlich wie Terry Gilliams Hunter-S.-Thompson-Verfilmung Fear and Loathing in Las Vegas, die übliche Volte von Filmen zum Thema, irgendwann eine analytische oder kommentierende Position einzunehmen, um Gründe oder Folgen des Drogenkonsums zu bebildern. Dafür müsste man nüchtern sein. Aber dies ist kein Film über Drogen, sondern ein Drogenfilm, ein wortwörtlich „falsch gestimmtes Bild“.

Darum hören wir Mickey Rourke als US-Präsident eine Rede über den Segen der Pornographie und die „All American Pussy“ halten und müssen Ross verstörend oberflächlich in allem, auch seinen Gedankengängen, hinterher: Selbst wenn er seinen One-Night-Stand aus der Striptease-Bar am Bett gefesselt über Stunden liegen lässt, weil „the Cook“ anruft und seinen „Volvo-Boy“ anfordert. Bin gleich wieder da. Protest dagegen oder Gründe dafür kann und will dieser Film nicht formulieren. Dafür ist erst Zeit, wenn die Projektion vorbei ist und Ross aus seinem ersten Schlaf aufwachen wird.

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der: Frankfurter Rundschau 07/ 03