Bei den Coens ist die Normalität eingekehrt. Die beiden Brüder produzieren jetzt jährlich einen Film – und es muss nicht immer gleich Kult sein. Nun läuft ihr erstes Remake bei uns an: eine Variation auf eine klassische Alec-Guinness-Komödie.

Es gibt viele Gründe, Ensemblefilme zu lieben. Ihr Reichtum ist vor allem ein Miteinander – eine Spiegelung des filmischen Prinzips, das ja immer auf Teamwork und auf ein Ineinandergreifen unterschiedlicher Prozesse angewiesen ist. Das Zusammenspiel vieler Gleichberechtigter auf der Leinwand öffnet den Blick, der sich ansonsten auf Star-Schauspieler oder -Regisseure richten mag. Hier verabschieden sich Nebenfiguren aus der zweiten Reihe und fordern Aufmerksamkeit. Sie zücken etwa bei Regelverstößen auf der Bowlingbahn des Big Lebowski mit Psychopathen-Ruhe ihre 45er-Magnum, „Hey, Smokie, this is not Vietnam, this is bowling, there are rules!“, oder philosophastern als Starverteidiger Freddy Riedenschneider in The Man Who Wasn’t There aufgeräumt an ihrer Version der Heisenbergschen Unschärferegel herum: „Looking at things can change them, the more you look the less you know – because of this German, Fritz or Werner.“

In diesem Sinne sind bislang alle Filme von Joel und Ethan Coen Ensemblefilme. Das ist nicht unwichtig für die Erwartung des ersten Remakes der Coens, der Neuauflage von Alexander Mackendricks The Ladykillers. Immerhin war die berühmte Ealing-Komödie von 1955 ein Fest der Akteure um Katie Johnson, Alec Guinness, Herbert Lom und Peter Sellers.

Wir dürfen also beruhigt sein, und genauso fängt es an: Träge fließt der Mississippi vor sich hin, ähnlich entspannt verbleibt die Kamera in ihrer Position, von der aus sie das Häuschen des örtlichen Sheriffs ebensogut im Blick hat wie die alte Dame, die entschlossen von rechts darauf zuwackelt. Noch bevor die verwitwete Mrs. Munson (Irma P. Hall), eine stolze afroamerikanische Baptistin, sich über die „Hippity-Hop-Musik“ beschweren kann, hat ein Plakat über dem schlafenden Sheriff den (Still-)Stand der Dinge in diesem Teil der Südstaaten festgenagelt: „Re-elect Sheriff Wyner, because he is too old to go to work.“

Das Ensemble um Alec Guinness als Professor Marcus war seinerzeit eingebettet in die liebenswürdige Tristesse spleenig britischer Ordnung. Nun umfängt die Ladykillers der süßlich schwere Odem des Mississippi mitsamt Gospel und bibelfester Rechtschaffenheit. Hier hinein passt perfekt Tom Hanks alias Professor Goldthwait Higginson Dorr, der als gestelzte Kreuzung aus Mark Twain und einer debilen Ausgabe von Buffalo Bill ständig Verse Edgar Allen Poes zitiert und, vielleicht aus Freude über die eigene Brillanz, gern heiser in sich hineinkichert. Mitternacht im Garten jenseits von Gut und Böse.

In diese Stimmung wird die englische Geschichte transponiert – aus dem nebligen Schwarzweiß Londons in ein klebriges, cremig vergilbtes Südstaaten-Gelb, Fleisch geworden durch Mrs. Munsons eigensinnigen Kater Pickles. Auch diesmal mietet sich „der Professor“ bei der alten Dame ein und bekommt täglich Besuch von vier Freunden, um gemeinsam barock zu musizieren. Die Musik kommt natürlich vom Band, weil die Bande in Wahrheit einen raffinierten Einbruch in den Tresorraum eines Kasinos plant. Wie 1955 gelingt der Coup, und wie die selige Mrs. Wilberforce kommt auch die resolute Mrs. Munson hinter das Geheimnis, was ihre Beseitigung nötig macht, woran die Gangster jedoch – und darum geht es schließlich – auf fatale Weise scheitern.

Auf den ersten Blick scheint darum der größte Unterschied zwischen beiden Fassungen in den Ladykillers selbst zu liegen. Anstelle des britischen Personals wird der Professor diesmal von einem zutiefst heterogenen Team potenzieller Versager unterstützt. Der afroamerikanische Kasino-Insider Gawain (Marlon Wayans) verliert gleich zu Anfang seinen Job, dem selbst ernannten Sprengstoffexperten Pancake (J.K. Simmons) geht schon im Testlauf der erste Finger verlustig, der wortkarge südvietnamesische „General“ (Tzi Ma) verkauft hauptberuflich Donuts, und das tumbe Kraftpaket Lump (Ryan Hurst) hat als Footballspieler nur seine eigenen Füße kennen gelernt, weil die bei seinen vielen Stürzen vermehrt im Sichtfeld seiner Helm-Perspektive auftauchten. Doch nicht nur das Ensemble markiert die Differenz zum Original; sie liegt darüber hinaus in der Inszenierung von Raum und Zeit.

Denn während sich die Ladykillers 1955 fast ausschließlich in und hinter dem Haus ihrer „Lady“ aufgehalten hatten, brechen Hanks & Co. mit diesem Kammerspielcharakter. Wir erleben sie im Kasino, im Tresorraum oder bei einer konspirativen Sitzung im „Waffle Hut“, was zwar für einige Running Gags gut ist, zugleich aber die Dichte des Plots auflöst. War in Mackendricks Ladykillers alles von Beginn an (auch räumlich) zwingend auf die vergeblichen Mordversuche an der alten Dame angelegt, kommt es dazu bei den Coens eher zufällig. Es passiert einfach, so wie sich Steve Buscemi in Fargo unversehens in der Häckselmaschine wiederfand.

Damit aber hebelt sich das Remake ein wenig selbst aus. Das fast schon überstürzte Finale greift das Zeitgefühl, den Rhythmus dieser Caper-Comedy an, der sich aus der Trägheit des Mississippi speiste. Die Hektik ist dann auch das Ende der Ladykillers – erst danach wird der Mississippi wieder ganz der „Ol’ Man River“ sein.

Gut gespieltes, atmosphärisches Remake des gleichnamigen britischen Gaunerkomödien-Klassikers. Mit dem Coen-typischen Sinn für skurrilen Humor inszeniert, fehlt dem stellenweise etwas hektischen Film jedoch die dramaturgische Dichte des Originals.

Autor: Jan Distelmeyer

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: epd film 06/ 04