In einer Zeit, in der die Massenmedien Fernsehen und Kino ihre eigenen Simulationsstrategien und deren Beziehung zur „Realität“ mit schwankender Qualität selbst ausschlachten, kommt eine Mediensatire wie gerufen. Zumal, wenn sie von einem komplett für das Fernsehen inszenierten Leben handelt, das den Ausbruch aus den Gesetzen des Apparats versucht. Das paßt ins Bild, und so klingt allein der Plot-Umriß wie ein Versprechen: Mit Peter Weirs Die Truman Show haben wir die geschickt verlagerte Fortsetzung jener verselbstständigten Medien-Nabelschau zu erwarten. Als solche hätte sie ihre Grenzen freilich genau dort, wo die eigene Konsumierbarkeit in Gefahr geraten würde.

„Nichts ist hier gestellt – es ist nur kontrolliert“, erklärt Louis Coltrane (Noah Emmerich) die Logik des TV-Weltereignisses „Die Truman Show“, in der er die Rolle von Trumans Freund Marlon spielt. Wir schreiben den Tag 10.909 nach Truman. Begonnen hatte die Übertragung der 24-Stunden-Live-Show mit der Geburt von Truman Burbank (Jim Carrey), und seitdem hat der unfreiwillige Protagonist das Leben gelebt, das Produzent Christof (Ed Harris) für ein normales amerikanisches Leben hält. Kleinfamile, Reihenhaus, College, Bürojob, Heirat, Reihenhaus, Spießeridyll – beobachtet von 5.000 versteckten Kameras unter der Kuppel eines riesigen Studios, in dem alles und jeder inszeniert und instruiert wird. Eine 50er-Jahre-Seifenoper lebt unter uns, deren Hauptdarsteller von alledem keinen blassen Schimmer hat. Damit das so bleibt, sorgt ein traumatisches Erlebnis in frühester Kindheit – Vater ertrinkt vor Trumans Augen beim Segeln – praktischerweise dafür, daß Truman fürderhin weder per Boot noch über die Brücke seine Studioinsel Seehaven verlassen kann. Und für den Fall, daß der Titelheld tatsächlich einmal Urlaubs- oder gar Auswanderungswünsche („Die Fidschi-Inseln!“) hegen sollte, steht in der nächsten Sekunde der gute alte Kumpel Marlon mit einem Sixpack vor der Tür.

Es dauert eine Weile, bis Die Truman Show die Perspektive der Serie aufgibt. Direkt nach einer einführenden Erklärung der Serien-Langzeitschauspieler ist Peter Weirs Film für eine Zeitlang nicht von der TV-Show zu unterscheiden – hinter Spiegeln, aus Schubladen und durch das Armaturenbrett von Trumans Wagen rollt der große Lausch- und Blickangriff rund um die Uhr. Nachdem wir so das Prinzip kennengelernt haben, werden uns unsere Spiegelbilder, die Fernsehzuschauer, vorgeführt und schließlich die Arbeit des Prodzenten Christof enthüllt, der nicht nur rein logisch Trumans Schöpfer ist: Gott residiert in seiner Zentrale hoch über den Studiobauten. Im Himmel von Seehaven macht er das Wetter, bestimmt Lebensläufe und manipuliert Gefühle.

Natürlich kommt es wie es in diesem biblischem Mikrokosmos kommen muß. Truman wird Schicksal und Schöpfer versuchen, den Ausbruch aus Seehaven wagen und über die offensichtlichen Versuche seiner Welt, ihn daran zu hindern, stutzig werden. Eine ideale Plattform für den Komiker Jim Carrey und zugleich der perfekte Aufhänger für existentielle Zweifel an der persönlichen Freiheit, Weltwahrnehmung und an den Grenzen der eigenen Wahrheit. Wenn man so will, dann landet Die Truman Show damit automatisch bei Immanuel Kant: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“

Doch halt! Immerhin gilt es eine Geschichte zu erzählen, und also werden diese menschlichen Untiefen auf die Medienplattform zurückgehievt, damit sich der Machtkampf zwischen Truman und Christof zuspitzen kann. Hier darf sich die heikle Mischung zwischen Humor und Moral entwickeln, die immer dann am klebrigsten ist, wenn Brachialkomiker in Ausübung ihrer Profession den ernsten Unterton forcieren. Solange sich die mediumreflexiven, erkenntnistheoretischen und ethischen Fragen nach der Macht des Fernsehens vor allem aus der Geschichte der TV-Bilder heraus vermitteln, ist Die Truman Show auf mindestens zwei Ebenen unterhaltsam. Von dem Augenblick an jedoch, in dem Truman/Jim Carrey erwacht und der Film über seine Figuren diese längst präsenten Themen direkt ausspricht und dramatisiert, fällt er hinter sich selbst zurück. Mit aller Macht der Parallel- und Kontrastmontage reibt er seinem Publikum etwa die biblischen Metaphern derart aufdringlich unter die Nase, daß jedes weiterführende Interesse sich erst gegen diese Penetranz durchsetzen müßte.

In einer dieser Szenen legt Die Truman Show die Herstellung von Film-Gefühlen offen. Die Regie-Anweisungen von Christof werden eingeschnitten, während wir mit dem TV-Publikum Trumans Wiedersehen mit seinem totgeglaubten Vater beobachten. Kameraperspektive, Licht, aufziehendes Gewitter, Schnittrhythmus und anschwellende Orchestermusik werden als im Moment entstehende Komposition erkennbar. Am Ende von Peter Weirs Truman Show, wenn der Held vor dem letzten Schritt aus dem Studio in „die Realität“ mit seinem Schöpfer Kontakt aufnimmt, werden wir diesen Mitteln wiederbegegnen. Nun jedoch als vergleichsweise unsichtbarem Teil der Filminszenierung. Die traditionsreiche Strategie des Kulturpessimismus, derzufolge das ehemals herrschende Massenmedium stets der nachfolgenden Konkurrenz deren bedrohliche Künstlichkeit vorwirft, kommt hier wie ein Bumerang zum Ausgangspunkt zurück. Natürlich könnte man diese Wiederholung der entlarvten Inszenierung als versteckte Selbstkritik eines Film betrachten, der gezielt auf diese Mechanismen vorbereitet hatte. Vielleicht kann es gar nicht anders sein, weil Peter Weirs Film nichts anderes als die Erweiterung der Serie für das Kino ist – zu den 5.000 Kameras kommt einfach eine weitere hinzu. Andererseits ließe sich sagen, daß in diesem Moment – dem ungeplanten Schlußakt der TV-Serie – auch der Hollywoodfilm Die Truman Show schlicht an seine Grenzen gekommen ist.

Ob nun billiger Triumph des Films über das Pantoffelkino, zarte Selbstkritik oder der Fall in die eigene Grube: Ab dem Moment, in dem die Grenzen der Fernsehwirklichkeit überschritten werden, muß auch das Kino schweigen. Was bleibt, ist eine eher krampfhafte Versöhnung mit dem Publikum und der Verweis auf ein schöneres Leben nach dem Tode, der Fernsehen und Kino eins werden läßt.

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 11/98