Der Prinz von Auschwitz

Roberto Benigni gelingt ein Wunder

Guido, der virtuose Kellner und Dr. Lessing, der traurige Arzt, lieben es, in Rätseln zu sprechen. Für den Deutschen ist es eine Besessenheit, seine einzige womöglich. Der Italiener gönnt sich eine Freude, eine unter vielen. Ein Spaß. „Sowie du meinen Namen sprichst, bin ich nicht mehr da wer bin ich?“ Nun, es ist das Schweigen, das ist einfach.

Es ist das Schwierigste. Es ist die Frage, die dieser Film stellt. Nicht an den Dr. Lessing, der später im Konzentrationslager die Selektion leiten wird. Es ist eine Frage an den Kellner und Buchhändler, an den weisen Narren Roberto Benigni, den Hauptdarsteller und Regisseur dieses Filmes: Es ist die Frage, ob Kunst über Auschwitz sprechen darf und wie. Denn was wäre die angemessene Weise, sich diesem Ort zu nähern, als schweigend, den Hut in der Hand? Und verschwindet die Wirklichkeit dieses Namens, der ein Geheimnis bleiben wird, nicht zwangsläufig, wenn man seinen Namen nennt? Niemand, der den Rauch nicht roch, wird je erfahren, wie es dort war. Und also Kunst schweigen oder etwas berichten das ein Anderes ist, als Auschwitz es war.

Was war es?

Für Giosus, dem kleinen Sohn des Juden Guido und der reinrassigen Italienierin Dora ist es das Tausend-Punkte-Spiel. Es ist ein schwieriges Spiel, erklärt der Vater, doch es lohnt sich. Denn wer als erster Tausend Punkte macht, der gewinnt den Hauptpreis, einen richtigen Panzer. Beinahe, sagt der Vater, hätten sie nicht teilnehmen dürfen am Spiel, obwohl sie die Gebühr doch bezahlt haben. Aber ihm, dem Vater, ist es gelungen, den Spielmeister zu überreden. Und er zeigt dem Jungen, zum Beweis, seine Teilnehmernummer. Sie steht auf der gestreiften Jacke und, zur Sicherheit, noch einmal auf dem Unterarm. Natürlich, so ein Spiel hat seine Schwierigkeiten, alle wollen gewinnen. Als sie ankommen drängeln sich die Teilnehmer in Zweierreihen, hier die Mannschaften der Männer, dort die der Frauen. Manche, als sie sehen, daß aus Vater und Sohn in Führung liegen, wollen den Kleinen ablenken. Sie machen Seife aus und Knöpfe und sie verbrennen uns alle. Da muß der Vater lachen. Da haben sie dich aber schön reingelegt. Wie soll das denn gehen, überleg doch mal. Oh, die Kohlen sind alle, da nehmen wir den Herrn Rechtsanwalt und Schwupps! Oh, die Hände sind schmutzig, da waschen wir uns mit Ramon, was? Ach, mein Kleiner, was haben sie dir da erzählt.

Die Wahrheit.

Und sie ist so absurd, so unwirklich, daß Millionen sie nicht glaubten, ehe sie wußten. So steht die Naivität dieses Kindes für die der Menschheit, ehe sie ihre Unschuld verlor im Rauch von Auschwitz. Verharmlosung als Überlebenshilfe ist das Recht der Todgeweihten, das der Nachgeborenen nicht.

Ist dieser Film eine Verharmlosung? Er hat bei der Mehrheit derer, die eine moralische Zuständigkeit für ihn reklamieen können, den Juden, Zustimmung gefunden. Das hängt wohl zusammen mit einer Art von Humor, die in Jahrtausenden gewachsen ist, ein Humor, dessen leise Resignation Selbstschutz und Überlebenshilfe ist. Es ist jene Art von Humor, der George Tabori auf die Frage „In welchem Lager waren Sie?“ antworten läßt: „Nur das Beste war gut genug. Auschwitz“. Die Frage, ob ein Komiker mit seinen Mitteln darüber erzählen darf, muß ein jeder Zuschauer für sich entscheiden. Er muß sich nur fragen, ob es irgendwo in diesem Film einen Satz, ein Gesicht, eine Bewegung gibt, die die Würde der Opfer verletzt. Eine Geste, die nicht eine Verbeugung, ein Wort, das nicht ein Kaddisch ist, ein Totengebet.

Für mich ist dieser Film von einer hohen Integrität getragen, von einem tiefen menschlichen Respekt, denn er handelt von der unverlierbaren Hoffnung: von der Seele der Juden also. Und ist ein ungleich würdigeres Erzählen, als die Seifenoper „Holocaust“, die einst den großen deutschen Schrecken stimulierte, der das eigentliche Schrecknis war.

Der Komiker Roberto Benigni ist ein besser Schauspieler als er ein Regisseur ist und so inszeniert er vor allem sich vor einem Zitat bleibenden Hintergrund. Er ist, Italien 1939, der Prinz aus dem Wunderland, dem, tatsächlich, die Prinzessin aus dem Himmel in die Arme fällt. Wenn Gott schießt ein Besen und wenn Guido will, fallen die Schlüssel zum Paradies vom Himmel. Und der Prinz reitet mit der Prinzessin, es ist ihre Verlobungsfeier mit einem anderen, groß und herrlich aus dem Saal. Das Pferd ist grün gestrichen und darauf geschrieben steht: „Achtung, jüdisches Pferd“. Es waren wohl die Leute, die an ihren Landen anschlugen „Für Hunde und Juden verboten“. Hier macht jeder was er will, sagte der Vater, dann schließen wir unseren Buchladen eben für Spinnen und Westgoten. Wer solche Pferde reitet, der kommt ins Lager. Der Prinz von Auschwitz. Der Prinz der Lügen, die leben helfen. Guildo, der Lügner.

Eine Stunde lang ist das eine fröhliche, nicht sonderlich beträchtliche Burleske. Und manche Schnurre kehrt wieder. Giosus schreit und stampft „Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht baden!“ Er will es auch im Lager nicht, so entgeht er dem Gas. Einmal, das sieht unglaublich komisch aus, bindet sich Guildo im Lager eine Decke um und ein Kopftuch, so hüpft er in den Block der Frauen. Das ist schon sehr komisch. Einmal bittet er den KZ-Arzt Dr. Lessing um Hilfe für seine Frau, die ihm ins Lager folgte. Und als er begreift, daß dieser Mann keine Fragen kennt, nur Rätsel, da vergißt der Märchen-Prinz von Auschwitz einmal seine Geschichte: Und wir sehen, wie ein leuchtendes Gesicht zu Asche zerfällt, so wie wir es selten sahen.

Am Ende gewinnt Giosus den Hauptpreis, Tausend Punkte. Der Panzer mit dem weißen Stern der US-Army stoppt schaukelnd vor dem Kind und der Fahrer ist ein freundlicher Mann. Wir haben gewonnen. Der Vater hatte es ihm versprochen.


Autor: Henryk Goldberg

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Text: veröffentlicht in filmspiegel