Seit 800 Jahren gibt es die Thomasschule und den Chor dazu, die Thomaner. Das Jubiläum, klar, wird kräftig gefeiert, auch mit diesem Film. Pure Lobhudelei also? Nein, erfreulicherweise nicht. Paul Smaczny und Günter Atteln, die den Chor ein Jahr lang begleitet haben, gelingt es, in ihrer Dokumentation bei aller spürbaren Zuneigung zum Objekt ihrer Betrachtung auch Momente kritischer Distanz zu bieten.

Das Hauptthema: die Förderung der Individualität von rund einhundert Jungen und jungen Männern, die ihre Kunst aber allein im Team entfalten können. Wobei von Anfang an klar wird: Individualität ist bei den Thomanern vor allem auf die Gesangskunst ausgerichtet, nicht unbedingt auf alle Aspekte der Persönlichkeit. Sensible Naturen haben es äußerst schwer, mit dem Internatsleben, den Hierarchien, dem sich Ein- und Unterordnen-Müssen. Chorleiter Georg Christoph Biller etwa räumt das vor Kamera und Mikrofon offen ein.

Wie sich das Leben unter solcher Prämisse gestaltet, wird anhand eines Schuljahres versucht zu erkunden. Als Nicht-Thomaner kriegt man da gelegentlich Schweißausbrüche, wenn man nur die Härte der Proben mitbekommt. Fußballspiel und Kissenschlacht muten einem als Außenstehenden nicht sehr aufbauend an. Andererseits: da ist dann die Musik, Bach natürlich vor allem, deren Schönheit. Wenn dann, etwa auf Tournee, die Begeisterung der Sänger und der Zuhörer eingefangen wird, relativiert sich der Preis, der für diese Schönheit gezahlt werden muss.

Trotzdem bleibt am Ende ein Nachgeschmack: Ein Thomaner, so der Einruck, hat nur eine Familie, den Chor. Doch aus dem muss er nach dem Abitur gehen. Was dann? Was hat das für Folgen für die Persönlichkeit? Wie geht es weiter? – Die Fragen werden nicht wirklich beantwortet. Damit bleibt eine Beunruhigung – und die Musik Bachs klingt einem plötzlich auch bedrohlich im Ohr.

Peter Claus

Die Thomaner, Paul Smaczny und Günter Atteln (Deutschland 2011)

Bilder: NFP (Filmwelt)