2007 machte Autor und Regisseur Jeff Nichols nachdrücklich mit der Kain-und-Abel-Variante „Shotgun Stories“ auf sich aufmerksam. Das Bruder-Drama überzeugte insbesondere auch, weil der Film – fern von vordergründigen Verweisen – als Bild des desolaten Zustands der US-amerikanischen Gesellschaft zu lesen war. Genau das macht auch seinen neuen Film sehenswert.

Jeff Nichols zieht das Publikum mit einem intelligenten Psychodrama in seinen Bann. Die Geschichte spielt im US-amerikanischen Bundesstaat Ohio. Hier lebt Curtis LaForche (Michael Shannon) mit seiner Frau Samantha (Jessica Chastain) und der sechsjährigen gehörlosen Tochter Hannah (Tova Stewart) in einer Kleinstadt. Auf den ersten Blick sieht das Familienleben recht angenehm aus. Zwar kann von Wohlstand keine Rede sein, aber ebenso wenig von Armut. Aber: Curtis wird von düsteren Träumen heimgesucht, in denen ein Orkan alles Leben hinwegfegt. Von den Visionen bedrängt, beginnt er mit dem Bau eines Schutzbunkers. Niemand nimmt ihn ernst. Doch er kommt nicht zur Besinnung. Es sieht so aus, als würde das vermeintliche Fehlverhalten des Mannes, sein Abrücken von der von allen für unverrückbar gehaltenen Realität, zwangsläufig zu einer Katastrophe führen.

Erst einmal ist das ein handfester Psychothriller, eine profunde Studie persönlichen Abdriftens in eine kranke Welt. Doch das ist ebenso eine Parabel auf das „Verrücktsein“ der gegenwärtigen USA, die Pervertierung des ur-amerikanischen Traums vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Der Film zeigt, dass sich unter gewissen Umständen eben auch das Böse, das Kranke, das Grausame unbegrenzt entfaltet. Aber: Wer mag, kann sich ganz ohne Reflexionen in den Sog der Geschichte vom Abdriften eines vielleicht oder wirklich oder überhaupt nicht geisteskranken Mannes ziehen lassen.

Jeff Nichols, verantwortlich für Drehbuch und Regie, lässt sich Zeit beim Erzählen. Er kultiviert eine unheilvolle Ruhe. Die Hauptfigur ist durchweg in der Schwebe zwischen Wachen und Wahn. Das steigert damit die Spannung beträchtlich. In den Landschaftsbildern scheint hinter allem Schönen stets Bedrohung zu lauern. Curtis LaForche wirkt in diesen Szenerien, von denen nie klar ist, ob sie Realität oder Traum sind, wie ein bis zur Weißglut angespanntes wildes Tier im Käfig. Michael Shannon, der schon in „Shotgun Stories“ beeindruckte, spielt den Curtis mit machtvoller körperlicher Präsenz. Einerseits zeigt er das virile Arbeitstier, andererseits lässt er in müden Blicken und schlaffen Gesten den verunsicherten Grübler aufscheinen. Schließlich wurde einst bei Curtis’ Mutter eine Schizophrenie diagnostiziert. Hat ihn die Krankheit eingeholt? Als Zuschauer bangt man mit dem Protagonisten, dass die Antwort „Nein“ ist. Doch das hieße, dass tatsächlich ein alles vernichtender Orkan droht. Zusammen mit Curtis gerät man also in einen Teufelskreis der Gefahr, aus dem kein Entrinnen möglich scheint. Neben Michael Shannon fasziniert Jessica Chastain als um Verständnis bemühte Ehefrau. Die junge Schauspielerin, die im Vorjahr mit Hauptrollen in gleich sieben Spielfilmen beeindruckte, zeigt mit kühler Präzision im Vorführen kontrollierter Angst, dass sie zu den gegenwärtig größten Talenten Hollywoods gehört. In einer Schlüsselszene des Films ist für einen Moment unklar, ob die von ihr gespielte Frau wirklich gute Gefährtin oder durchtriebenes Monster ist. Mit einem einzigen Blick baut Jessica Chastain eine enorme Spannung auf. Da hält man als Zuschauer wirklich die Luft an. Kameramann Adam Stone unterstützt Regie und Schauspiel, indem er ein nahezu in Grau erstickendes Land beschwört, eine Heimstadt der Verzweiflung, ein Zuhaue, das keinen Halt bietet.

Am Ende gibt es einen wahrlich überraschenden Twist. Jeff Nichols kassierte dafür von einigen Kritikern ziemliche Schelte. Was ich nicht nachvollziehen kann. Gerade das Finale entlässt einen in die beunruhigende Situation, durch Curtis LaForche die Schattenseiten des eigenen Daseins wahrzunehmen.

Peter Claus

Take Shelter, von Jeff Nichols (USA 2011)

Bilder: Ascot Elite (24 Bilder)