Neues griechisches Kino ist hierzulande nahezu unbekannt. Der Erfolg von „Kleine Wunder in Athen“ hat daran nichts geändert. Jetzt also wieder einmal die Gelegenheit, einen Spielfilm aus Griechenland zu sehen. Und der Gang ins Filmtheater lohnt.

Erwartungen an „Griechischer Wein“-Kitsch werden nicht erfüllt. Geboten wird eine gelegentlich geradezu klinisch anmutende Versuchsanordnung mit vier Personen. Deren Stress mit dem Sex ist das Hauptthema. Auf verschiedenen internationalen Festivals, etwa 2010 in Venedig, gab es mehrere Preise. Griechenland schickte den Film gar ins „Oscar“-Rennen. Diese Erfolge sind weniger dem Inhalt, als dem Stil, der Inszenierung von Athina Rachel Tsangari, zu danken ist. Inspiriert wurde sie von einigen Dokus des Engländers Richard Attenborough, der darin auf ausgezeichnete Weise Verhaltensmuster ins Zentrum rückte. Auf ihn und seine Filme wird verwiesen, der Titel rührt daher, dass Hauptfigur Marina (Ariane Labed) den Namen Attenborough zu Attenberg ummodelt. Der Vater der 23-Jährigen liegt im Sterben. Was die Nähe der Beiden bestärkt, aber auch Marinas Vereinsamung. Scheinbar völlig ohne Begehren, gibt sie sich unnahbar, geradezu lustfeindlich. Doch mit ihrer Freundin Bella (Evangelia Randou) tauscht sie Zungenküsse, obwohl sie keineswegs lesbisch ist. Spannung erwächst dann aus der Frage, ob die Begegnung mit einem Mann, zu der es natürlich kommt, Folgen haben wird und welche.

Dauernde Perspektivwechsel in der Erzählung, oft geradezu schroff anmutende, angenehm knappe Dialoge und eine kühl-dezente Kamera setzen entscheidende Akzente. Von Szene zu Szene wird die Beobachtung von Menschen, die sich nicht völlig von althergebrachten Verhaltensmustern lösen können, obwohl ihre Sehnsucht genau danach ungemein groß ist, genauer und aufschlussreicher. Selbst wer in einer von der so genannten „sexuellen Revolution“ stark geprägten Gesellschaft, wie der deutschen, lebt, entdeckt eine manchmal komische, oft sogar erschreckende Nähe zu den Protagonisten und deren Problemen. Die werden, wie auch?!, im Film nicht gelöst. Glücklicherweise werden auch keine hübsch verpackten Weisheiten angeboten. Dafür gibt es einiges an Irritation und damit eine Sensibilisierung für die immer wieder notwendige Selbstbeobachtung.

Peter Claus

Attenberg, von Athina Rachel Tsangari (Griechenland 2010)

Bilder: Rapid Eye Movies HE