Und noch eine Bestseller-Adaption. Die wievielte des Jahres ist es eigentlich? Egal. In diesem Fall lohnt der Besuch des Kinos, egal, ob einem das Buch bekannt ist oder nicht. Die Story klingt nach Action- und Abenteuerdutzendware: Schiffbrüchiger muss Monate auf hoher See ums Überleben kämpfen – mit einem wilden bengalischen Tiger im Schlepptau. Doch es geht um andere Beträge: Die Geschichte des Jungen Pi Patel ist vor allem eine um das Abenteuer des Erwachsenwerdens.

Das Buch des spanischstämmigen Kanadiers Yann Martel wurde von Regisseur Ang Lee mit großem Gespür für Schönheit in einen Spielfilm übertragen. Der Regisseur und sein Drehbuchautor David Magee haben sich dabei recht eng an die Vorlage gehalten. Die notwendigen Kürzungen und Veränderungen stören wohl niemanden, denn sie bedeuten keinen Substanzverlust. Klammer des Geschehens ist die Geschichte eines Schriftstellers (Rafe Spall), wohl Alter ego von Yann Martel. Der besucht in Montreal den Inder Pi (Irrfan Khan). Und Pi erzählt. Als 5jähriger (Gautam Belur) lebt er in Indien in einem Zoo. Der Hindu-Junge wird als 12jähriger (Ayush Tandon) mit den Lehren des Christentums und des Islams vertraut. Statt sich auf eine Glaubensrichtung festzulegen, bezieht er aus allen jeweils das, was ihm gut und richtig erscheint. Fünf Jahre später, Pi ist nun 17 (und wird von Suraj Sharma gespielt), will die Familie nach Kanada auswandern, zusammen mit vielen Tieren aus dem vom Vater geleiteten Zoo. Der Verkauf der Tiere soll den Start in der Ferne finanziell absichern. Ein Sturm aber macht den Patels einen Strich durch die wohlfeile Rechnung. Pi überlebt die Katastrophe. Ein Rettungsboot wird für ihn zum Hort der Hoffnung. Doch unter der Plane verharrt Richard Parker, ein ausgewachsener bengalischer Tiger, der sich nicht wie eine Schmusekatze aufführt. Und da sind noch andere Überlebende. – Dass Pi es schafft, ist klar. Er erzählt die Geschichte schließlich viele Jahre später selbst. Doch wie? Für Spannung also ist gesorgt. Wesentlicher für die Wirkung des Films, der die 3D-Technik raffiniert für den Aufbau einer bezaubernden Märchenstimmung nutzt, ist die Sensibilität der Inszenierung. Sie sorgt dafür, dass das Publikum in einen kollektiven Taumel der Gefühle taumelt. Schön dabei ist, dass sich die magischen Bilder nicht verselbständigen. Ja, hin und wieder menschelt es etwas zu stark, wird’s auch sentimental. Doch darüber sieht man angesichts der Fülle an Einfällen gern hinweg und lässt sich mit Vergnügen auf die Suche nach dem Sinn des Lebens an sich und den des Glaubens an Gott im Besonderen gern ein.

Endlich einmal ist die Synchronisation exzellent. Ilja Richter, der bereits das Hörbuch zum Roman gesprochen hat, leiht dem erwachsenen Pi in der deutschen Fassung seine Stimme. Richters Sensibilität im Sprechen passt perfekt zu der von Drehbuch und Regie. Angenehm im Timbre, dank verhaltener Komik nie ins Salbadern abrutschend, lässt er den Charakter Pis erstrahlen.

Peter Claus

The Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger, von Ang Lee (USA 2012)

Bilder: Fox