Explizit politische Spielfilme kommen selten heraus in Deutschland. Oftmals hat das sicher mit der Scheu der Autoren und Regisseure zu tun, zu plump zu werden. Und sicher: Auch das scheinbar Unpolitische ist immer politisch. „Fünf Jahre Leben“, der erste abendfüllende Spielfilm von Autor und Regisseur Stefan Schaller, wendet sich einer Geschichte zu, die im Koordinatensystem der internationalen Politik wurzelt. Erfreulicherweise aber ist dies kein Agit-Prop-Pamphlet. Alles vordergründige Politisieren bleibt aus. Schaller weiß, dass das, worauf er verweist, genug Zündstoff für ein Nachdenken über politische Fragen bietet. Da muss er nicht noch mit Effekthascherei das Feuer anheizen.

Stefan Schaller hat sich der Geschichte des Deutsch-Türken Murat Kurnaz (Sascha Alexander Geršak) angenommen. Der saß fünf Jahre in Guantánamo, in jener Folterhölle, die den USA als Hort des Kampfes gegen den internationalen Terror gilt. Vieles deutet darauf hin, dass deutsche und türkische Behörden dem Mann nicht einmal dann geholfen und ihn da rausgeholt haben, als selbst der CIA ihn 2002 für unschuldig hielt. Deutschlands damaliger Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier hat die Rückkehr von Murat Kurnaz nach Bremen, auch darauf deutet viel, offenbar bewusst verhindert. Die „Schuld“ des jungen Mannes: er hat sich in Bremen dem Islam zugewandt und besuchte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Koranschule in Pakistan. Von dort kam er, gegen Kopfgeld an die US-Amerikaner weitergereicht, als vermeintlicher „Bremer Taliban“ in die Haft. Der Film zeigt nicht mit den Mitteln eines Krimis, was wahr ist oder nicht, fragt nicht nach Schuld oder Unschuld. Und: er erteilt keine Zensuren. Stefan Schaller streift die Fülle an Geschehenem zum Beispiel in einigen eingeblendeten Schriftzügen am Ende des Films. Doch erzählt er in erster Linie, was es bedeutet, in einem Gefängnis wie Guantánamo festgehalten zu werden, zeigt den physischen und psychischen Terror. In immer kleiner werdenden Bildausschnitten wird spürbar, wie ein dort Gefangener selbst immer kleiner wird, wie er klein gemacht wird, seiner Würde beraubt werden soll, seiner Menschlichkeit. Höhepunkte des Films sind keine Szenen voller deutlicher Gewaltdarstellungen, die es auch gibt. Höhepunkt ist die Folge von Gesprächen und Begegnungen mit einem US-amerikanischen Verhörspezialisten. Dieser Gail Holford (Ben Miles) hat bisher noch jeden zum Reden gebracht, egal ob die Geständnisse der Wahrheit entsprachen oder nicht. Er arbeitet mit allen Tricks. Doch Murat Kurnaz bleibt standhaft, Er hat nichts zu gestehen, also gesteht er nicht. Er hofft auf die Kraft der Wahrheit.

Ein Jahr wird beleuchtet. Ein Jahr des Grauens. Die Wucht, mit der man als Zuschauer Zeuge dieses Grauens wird, prägt sich unvergesslich ein. Schaller enthüllt mit dem, was er zeigt, die Perfidie des Systems Guantánamo an sich. Er forscht, wie schon angedeutet, nicht, um dieses oder jenes zu beweisen oder zu widerlegen, er attackiert keinen einzelnen verantwortlichen Politiker oder Militärs. Er verdeutlicht, wie das aus blindem Hass geborene fanatische Handeln wider alles Fremde, das a priori als verdächtig gilt, Menschen wie Murat Kurnaz und Gail Holford zu Protagonisten staatlich sanktionierter Gewalt macht. Gezeigt wird: In Guantanámo geht es oft gar nicht darum, wesentliche Informationen zu sammeln. Es geht um Geständnisse um jeden Preis, egal ob sie von wirklichem Wert sind oder nicht, um im Nachhinein das Vorgehen der US-Sicherheitskräfte und ihrer Helfer, wie etwa des BND, zu legitimieren. Wer nicht mitspielt, wie Murat Kurnaz, soll als Persönlichkeit gebrochen werden. In einer Szene des Films wird Murat Kurnaz in einen Hubschrauber gesetzt, der ihn in die Freiheit bringen soll. Doch es ist eine Finte. Sofort wird er wieder herausgezerrt und geprügelt, muss zurück in eine Zelle, wird neuen Foltern ausgesetzt. Besonders eindringlich ist eine Szene, die zeigt, wie der Gefangene psychisch gebrochen werden soll: Murat Kurnaz wird gezwungen einen kleinen Leguan, der durch die Kanalisation zu ihm gekommen ist, zu töten.

US-Präsident Barack Obama hat zu Beginn seiner ersten Amtszeit, 2008 war das, die Schließung des Lagers Guantánamo versprochen. Seine zweite Amtszeit läuft seit Ende 2012. Das Lager ist nach wie vor in Betrieb. Und nach wie vor können wir nicht sicher sein, ob es nicht auch andernorts ähnliche Lager gibt. Der Film kann uns diese Sorge nicht nehmen. Er offeriert auch keine Patentrezepte, wie der zweifellos notwendige Kampf gegen Terrorismus mit akzeptablen Mitteln geführt werden kann. Aber er kann das Bewusstsein dafür schärfen, dass kein Mensch, im Namen von wem oder was auch immer, das Recht hat, sich über einen anderen Menschen zu erheben. Eine Wahrheit, die nicht erst in einem Gefangenenlager gilt, sondern allüberall und jederzeit.

Peter Claus

Fünf Jahre Leben, von Stefan Schaller (Deutschland 2012/2013)

Bilder: Zorro Film