Mit „Nordrand“, ihrem Debüt als Regisseurin eines abendfüllenden Spielfilms, wurde die Österreicherin Barbara Albert 1999 weithin berühmt. Hier und auch 2003 in „Böse Zellen“ bestach die Autorin, Regisseurin und Produzentin mit einem klaren Blick auf soziale Realitäten und mit einem guten Gespür für eine packende formale Gestaltung fern linearer Erzählmuster. Dagegen sieht sich ihr neuer Spielfilm geradezu plump an. Leider wird auch die Story, die Barbara Albert entwickelt hat, dem gewichtigen Kern der Erzählung, einer Auseinandersetzung mit den Folgen des Nationalsozialismus, nicht gerecht.
Auslöser für den Versuch der filmischen Vergangenheitsbefragung ist die Entdeckung der Germanistikstudentin Sita (Anna Fischer), dass ihr Großvater (Hanns Schuschnigg) offenbar bei der SS war. Ein Foto des inzwischen 95-Jährigen bringt sie darauf. Die junge Frau will, etwa gegen den Willen ihres Vaters (August Zirner), das Schweigen brechen. Sie versucht, das Gestern und Vorgestern zu erforschen – und stößt natürlich bald auf Probleme der Gegenwart. Die Fragen, die sich für sie ergeben, sind umso drängender, da Sita sich gerade in den israelischen Fotokünstler Jocquin (Itay Tiran) verliebt hat. Wie aber soll sie, so ihre Angst, als Enkelin eines Nazi-Mörders mit einem Israeli unbelastet leben können?
Barbara Albert betont gern, dass der Film einen autobiografischen Hintergrund habe. Was erstaunt. Denn die Story wirkt ungemein konstruiert. Zudem wird nicht wirklich klar, warum Sita, doch wohl das alter ego von Barabra Albert, die Wahrheit über die Verstrickung ihrer Vorfahren in den faschistischen Wahnsinn ergründen möchte. Und es wird regelrecht peinlich, wenn klar wird, dass ein Onkel (Winfried Glatzeder) von Sita bereits in diversen Videointerviews die Familiengeschichte erforscht hat. Da suggeriert der Film sogar, dass sich die heute Jungen nicht mehr um das Gewesene scheren müssen, ist doch längst alles klar. Eine fatale Schlussfolgerung, die sich hier aufdrängt. Ganz sicher will Barbara Albert genau das nicht sagen. Doch die Unbekümmertheit, mit der sie erzählt, hat sie ins Abseits tappen lassen. Diese Unbekümmertheit wird durch einen flotten Sound und ebenso schnittige Bilder untermalt. Die Hauptdarstellerin sieht gut aus und nimmt für sich ein. Doch die Naivität der Erzählhaltung, das Platte des Plots, nerven mehr und mehr je länger der Film dauert. Je weiter Sita kommt, umso mehr ertrinkt aller ganz bestimmt vorhandene Anspruch von Barbara Albert und ihrem Team in kitschigem Gutmenschen-Getue.
Peter Claus
Die Lebenden, von Barbara Albert (Polen/ Österreich/ Deutschland 2012)
Bilder: Real Fiction
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