Das, was zwischen den Bildern zu sehen ist und zwischen den Worten zu hören, das ist oft das Entscheidende. Berühmte Filme, „Mädchen in Uniform“ etwa oder „Die Brücken von Madison County“, um zwei aus sehr unterschiedlichen Kulturen zu nennen, beziehen daraus ein Großteil ihrer enormen Wirkung. Und nun dieses Drama.

Motorradstuntman Luke (Ryan Gosling) hatte einst eine Nacht mit Romina (Eva Mendes). Lange wusste er nicht, dass ein Sohn die Folge ist. Luke will sich der Verantwortung nicht entziehen. Geld wird gebraucht. Also macht er, was Mann so macht: er klaut es. Einige Zeit hat er mit Kumpel Robin (Ben Mendelssohn) ziemlichen Erfolg als Dieb. Doch schließlich kommt das eine Mal, das kommen muss. Der Bruch geht daneben. Auf der Flucht vor Recht und Ordnung verschanzt sich Luke in einem Haus. Polizist Avery Cross (Bradley Cooper) wittert die Chance, durch einen tollen Erfolg dem Gleichmaß seines Lebens mit Jennifer (Rose Byrne) und Sohn zu entkommen, und sich dazu aus der Macht korrupter Kollegen befreien zu können. Doch das Eigentliche ereignet sich Jahre später: Die zwei Söhne der (Dane DeHaan und Emory Cohen) Kontrahenten werden Freunde. Als sie entdecken, wo, wann und wie sich ihre Lebenswege schon einmal gekreuzt haben, kommt es nicht nur zu einem Chaos der Gefühle.

Autor und Regisseur Derek Cianfrance hatte vor drei Jahren einen Riesenerfolg mit „Blue Valentine“, seinem da erst zweiten abendfüllenden Spielfilm, und gilt seitdem als einer der besten Protagonisten des US-amerikanischen Independentkinos. Tatsächlich überzeugt er mit dem Schuld-und-Sühne-Drama auf ganzer Linie. Dabei unternimmt der Regisseur und Drehbuch-Mitverfasser etwas, was bisher in der Filmhistorie nur selten gelang: nach etwa einem Drittel der Laufzeit des Films bekommt die Story eine völlig neue, bis dahin unerwartete Wendung. (Hitchcock hat das in „Psycho“ brillant gemacht, aber sonst ging so etwas bisher wohl fast jedes Mal schief.) Nicht genug damit, wird nach dem zweiten Drittel noch einmal ein harscher (Erzähl-)Schnitt gemacht. Und wieder bleibt die Spannung erhalten, ja, sogar noch gesteigert. Rasanter Krimi samt Action, kritisches Polizei-Drama und einfühlsame Coming-of-Age-Story werden höchst raffiniert und wirkungsbewusst miteinander vereint. Was nicht heißt, dass hier Episode an Episode gereiht wird. Derek Cianfrance versteht es meisterhaft, die drei Ebenen ineinander zu verschränken, um davon zu erzählen, wie sich menschliches Handeln und Nicht-Handeln jeweils aus Vorausgegangenem ergibt. Allein das ist ein Genuss! Dazu kommen exzellente Schauspieler, die durchweg überzeugen. Am meisten erfreut dabei die Präsenz von Bradley Cooper, der bisher insbesondere durch die Hauptrolle in den „Hangover“-Klamotten (Teil drei läuft gerade in den Kinos) bekannt geworden ist. Natürlich: das zeugt auch von der Klasse der Schauspielerführung durch den Regisseur. Der auch ein exzellenter Manipulator des Publikums ist. Denn es gelingt ihm geradezu brillant, die Zuschauer auf das Nicht-Gesagte und Nicht-Gezeigte zu stoßen. Das gibt dem Film eine seltene Klasse.

Peter Claus

The Place Beyond The Pines, von Derek Cianfrance (USA 2013)

Bilder: Studiocanal